Athen. Auf Chios in Griechenland gehen Syrer und Afghanen aufeinander los. Familien verlassen das Flüchtlingslager aus Angst um ihr Leben.

Schlechte Vorzeichen für die ab Montag geplanten Rückführungen von Flüchtlingen in die Türkei: Die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern gerät immer mehr außer Kontrolle. Nachdem es an den Vortagen bereits in mehreren Notunterkünften zu Unruhen kam, gingen in der Nacht zum Freitag auf der Insel Chios syrische und afghanische Flüchtlinge aufeinander los.

Junge Männer attackierten einander mit Fäusten, Schlagwerkzeugen und Messern. Was die Randale auslöste, ist unklar. Zwei Menschen wurden durch Messerstiche schwer verletzt. Das Lager glich einem Schlachtfeld. Die Polizei setzte Blendgranaten ein, um die Tumulte zu beenden.

Randalierer zerstören Hilfsgüter im Wert von 30.000 Euro

Die randalierenden Flüchtlinge attackierten auch ein Sanitätszelt der Hilfsorganisation Ärzte der Welt und zerstörten medizinische Geräte und Hilfsgüter im Wert von 30.000 Euro. Die Organisation zog sich daraufhin aus dem Lager zurück und stellte ihre Arbeit in Chios vorerst ein. Am Freitag traf aus Athen eine Einheit der Bereitschaftspolizei auf der Insel ein. Sie soll im Lager für Ruhe und Ordnung sorgen.

Hunderte syrische Flüchtlinge verließen aus Furcht vor neuen Tumulten das Lager auf Chios. Sie hatten zuvor den Zaun, der die Unterkunft umgibt, an mehreren Stellen aufgeschnitten. Die Menschen, unter ihnen viele Familien mit Kindern, machten sich zu Fuß zum Hafen der Insel auf. Sie wollen dort in einer leer stehenden Lagerhalle Zuflucht vor befürchteten neuen Übergriffen afghanischer Migranten suchen.

Am Montag startet Rückführung

„Unser Leben ist in dem Lager nicht mehr sicher“, sagte ein syrischer Familienvater zu Reportern. Beobachter vor Ort schätzten am Freitag, von den knapp 1600 Flüchtlingen sei etwa die Hälfte aus dem Lager geflohen.

Auch an den anderen Registrierzentren – den sogenannten „Hotspots“ – auf Lesbos, Samos und Leros sollen die Polizeikräfte jetzt verstärkt werden. Proteste wurden am Freitag auch aus einer Flüchtlings-Notunterkunft im nordgriechischen Ioannina gemeldet. Vor zwei Tagen war es bereits im Hafen von Piräus, wo fast 5400 Flüchtlinge kampieren, zu Schlägereien zwischen Afghanen und Syrern gekommen. Die zunehmenden Unruhen in den griechischen Flüchtlingslagern wecken Befürchtungen: Am Montag sollen die Abschiebungen von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei beginnen. Das griechische Parlament wollte am späten Freitagabend im Eilverfahren über die Vorgaben zur Umsetzung des Flüchtlingspakts entscheiden.

Schutzbedürftige werden zur Rückkehr nach Syrien gezwungen

In der Zeltstadt von Idomeni an der Grenze zu Mazedonien stauten sich unverändert mehr als 10.000 Flüchtlinge. Menschenrechtler übten scharfe Kritik an den Zuständen. Nach Recherchen von Amnesty International hat die Türkei seit Mitte Januar mehrere Tausend syrische Flüchtlinge in deren Heimat abgeschoben, darunter Frauen und Kinder.

Fast täglich seien Schutzbedürftige in Gruppen von bis zu 100 Personen zur Rückkehr in das Bürgerkriegsland gezwungen worden, erklärte die Organisation am Freitag in London und Berlin. Als aktuelles Beispiel schilderte Amnesty einen Fall, in dem Ankara drei kleine Kinder ohne deren Eltern nach Syrien abgeschoben habe.

Unterkünfte in Griechenland sind überfüllt

Die EU-Kommission will die Berichte von Amnesty prüfen. „Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst“, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte internationalen Schutz für die zur Abschiebung in die Türkei vorgesehenen Flüchtlinge.

Die „Hotspots“ in Griechenland sind praktisch zu Internierungslagern geworden. Das sorgt für Unruhe unter den Flüchtlingen, zumal manche Unterkünfte überfüllt sind. So ist das Lager auf Chios für 1100 Menschen ausgelegt, beherbergte aber zuletzt nach offiziellen Angaben 1529 Personen.