Bangkok/Berlin. Nach dem Bombenanschlag in Pakistan ist Außenminister Steinmeier überzeugt: Islamabad und Kabul müssen den Terror gemeinsam bekämpfen.

Ein neunjähriger Junge, der sich auf die Riesenschaukel im Gulam-i-Iqbal Park gefreut hatte, verlor beide Beine. Ein zweijähriges Kind wurde in die Luft gesprengt. Ein Nachbar des Vergnügungsparks in der pakistanischen Stadt Lahore schildert grausame Szenen: „Als ich mich zehn Minuten nach der Bombenexplosion vor die Tür wagte, klebten Leichenreste an der Hauswand.“ Mindestens 70 Menschen – darunter 35 Kinder – wurden bei dem Anschlag in der Nacht zum Ostermontag getötet. Rund 350 Menschen wurden verletzt. Unter den Toten befanden sich viele Christen.

Jedes Jahr ziehen Tausende von christlichen Familien aus den Elendsvierteln in der Umgebung von Lahore zum Gulam-i-Iqbal Park. Das farbige Lichtermeer von Riesenrädern, Schaukeln und Achterbahnen ersetzt die Tradition der Ostereier, die bei Pakistans Christen weitgehend unbekannt ist. Die Christen stellen etwa 2,5 Millionen der 180 Millionen Einwohner des Landes und sind damit eine kleine Minderheit.

Bei dem Selbstmordattentäter handelt es sich um den 28-jährigen Mohammed Yousaf Farid, der an einer islamischen Religionsschule gelehrt hatte. Seine mit Sprengstoff, Kugellagern, Schrauben und Nägeln gespickte Selbstmordweste hatte er nahe dem Haupteingang zu dem populären Park gezündet.

Splittergruppe der Talibanmilizen bekennt sich zur Tat

Zu der Tat bekannte sich die Extremistenorganisation Jamaat ul-Ahrar, eine Splittergruppe der Talibanmilizen. „Unser Ziel waren Christen“, sagte der Sprecher Ehsanullah Ehsan. „Und es war eine Botschaft für Premierminister Nawaz Sharif. Wir sind in Lahore, und er kann tun, was er will. Er wird uns nicht stoppen. Unsere Selbstmordattentäter werden ihre Angriffe fortsetzen.“

Jamaat ul-Ahrar ist eine der aktivsten und brutalsten Extremistengruppierungen des Landes. Die sunnitischen Islamisten verüben landesweit Anschläge gegen den Staat, aber auch gegen Nichtmuslime, etwa Christen. Jamaat ul-Ahrar agiert in wechselnden Allianzen. Einigen Berichten zufolge hatte Anführer Omar Khalid Khorasani ursprünglich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Anhängerschaft geschworen. Dann wechselte er zu den Taliban. Im September 2014 hatte er sich von der Dachorganisation der pakistanischen Taliban, Tehrik-e Taliban (TTP), getrennt, weil er die Führerschaft des neuen TTP-Anführers Mullah Fazlullah nicht anerkennen wollte. Mittlerweile sind Jamaat ul-Ahrar und die pakistanischen Taliban wieder lose verbunden.

Der Terrorangriff wurde weltweit verurteilt. „Der verbrecherische Anschlag auf christliche Familien beim Osterpicknick in Lahore hat erneut gezeigt, mit welcher Brutalität und Grausamkeit Terroristen ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Pakistan zu zerstören versuchen, und dass sie vor nichts Halt machen, um dieses Ziel zu erreichen“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unserer Redaktion. Die Regierung in Islamabad führe den Kampf gegen den Extremismus sehr ernsthaft, lobte Steinmeier. Es sei „wichtig und gut, dass sich Pakistan nun auch in die Bemühungen um einen Friedensprozess zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban aktiv einbringt“. Der terroristischen Bedrohung könnten Pakistan und Afghanistan nur gemeinsam Herr werden. Papst Franziskus verurteilte den Terrorakt als „feiges und sinnloses Verbrechen“. Die USA stünden an der Seite des pakistanischen Volkes, erklärte US-Regierungssprecher Ned Price.

Die pakistanische Regierung hatte sich lange geweigert, die Existenz der Terrortruppe Jamaat ul-Ahrar im eigenen Land anzuerkennen. Das änderte sich erst nach einer bislang geheim gehaltenen Kommandooperation Ende vergangenen Jahres im beliebten Malir Cantonment der Hafenstadt Karachi. Die Streitkräfte verhafteten eine Gruppe von 20 Jugendlichen, die – angestiftet von einem lokalen Imam – einen Anschlag nach IS-Vorbild geplant hatten. Pikant daran: Die Verhafteten stammten alle aus Familien von Armeeoffizieren. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen soll es sich bei vielen angeblichen IS-Mitgliedern in Südasien um einzelne Kämpfer handeln, die sich mit ihren alten Organisationen überworfen haben. „Wir haben es vor allem mit lokalen Radikalen zu tun“, sagte ein Anti-Terror-Polizist.

Streitkräfte gehen gegen islamistische Extremistengruppen vor

In der Vergangenheit existierte eine Art Stillhalteabkommen zwischen Sharifs Partei PMLN und den Extremisten. Solange sie keine Anschläge in Lahore und Umgebung verüben würden – so die informelle Abmachung – würden die Sicherheitskräfte nicht gegen sie vorgehen. Doch diese Absprache gilt offenbar nicht mehr, seit Pakistans Generäle gegen einheimische Terrorgruppen vorgehen. Offiziell versuchen die Behörden seit zwei Jahren, etwa 20.000 solcher Koranschulen unter ihre Kontrolle zu bringen. Bislang hatten sie dabei – wie bei ähnlichen Versuchen in der Vergangenheit – wenig Erfolg.

Seit dem Jahr 2014 gehen die pakistanischen Streitkräfte massiv gegen islamistische Extremistengruppen vor. Nach langem Zögern wurden Tausende von sogenannten Gotteskriegern aus der Grenzprovinz Wasiristan ins benachbarte Afghanistan abgedrängt. In der Wirtschaftsmetropole Karachi versucht die Armee, paramilitärische Gruppen zu zerschlagen. Das Parlament des Landes übertrug gar der Militärjustiz die Gerichtsbarkeit in sogenannten „Anti-Terror-Verfahren“, deren Zuständigkeit sehr weit ausgelegt wird.

Allerdings hatten die Generäle Premierminister Sharif nach dessen Amtsübernahme gewarnt, dass sie mit ihren Aktionen nur zwei Drittel der extremistischen Gefahr unter Kontrolle bringen könnten. Wie gefährlich das verbleibende Drittel ist, zeigte sich in der Nacht zum Ostermontag nicht nur bei dem Blutbad in Lahore.

Auch in anderen Teilen des Landes kam es zu Unruhen. In der Hauptstadt Islamabad stürmten mehr als 10.000 Anhänger von Mumtaz Qadri das abgeschirmte Hochsicherheitsgebiet rund um die Regierungsgebäude. Der Leibwächter Qadri war am 29. Februar hingerichtet worden. Er hatte seinen Chef, den Gouverneur der Provinz Punjab, mit 27 Schüssen ermordet. Das Motiv: Der Gouverneur wollte eine Reform der umstrittenen Blasphemiegesetze, mit deren Hilfe überwiegend Minderheiten verfolgt werden.

Die Forderungen der Demonstranten lauteten: Einführung der islamischen Scharia-Gesetzgebung, Märtyrerstatus für ihr Idol Qadri – und Vollstreckung eines Todesurteils gegen die Christin Asia Bibi, die seit Jahren wegen angeblicher Blasphemie in einer Todeszelle sitzt. Schon zum Begräbnis von Qadri vor wenigen Wochen waren rund 100.000 Menschen gekommen.