Berlin. Russlands Außenminister Sergej Lawrow verursacht mit neuen Äußerungen diplomatische Verwirrung. Dabei schien der Fall längst geklärt.

Längst ist klar, dass die angebliche Entführung und Vergewaltigung einer 13-Jährigen Russlanddeutschen aus Berlin-Marzahn erfunden ist. Doch zwei Monate nachdem der Fall von russischen Medien zum Skandal aufgeblasen wurde, legt Russlands Außenminister Sergej Lawrow nach.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow (rechts) empfängt Bundesaußenminister Frank-Walter Steimeier.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow (rechts) empfängt Bundesaußenminister Frank-Walter Steimeier. © dpa | Sergei Chirikov

Beim Besuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in Moskau warnte Lawrow am Mittwochabend „vor haltlosen Vorwürfen“ im Fall der 13-Jährigen gegen die „russische Diaspora“ in Deutschland. Und erneut wird in russischen Medien von einer mutmaßlichen Vergewaltigung gesprochen.

Das russische Portal Sputnik zitiert aus der gemeinsamen Pressekonferenz mit Steinmeier. Lawrow hoffe, „dass die deutschen Medien in dieser Geschichte von Übertreibungen absehen und dass die Regierung der Bundesrepublik keine unbegründeten Verdächtigungen gegen die große Gruppe ihrer Bürger zulässt, die in Deutschland leben und Teil der deutschen Gesellschaft sind“, heißt es.

Russische Medien berichteten die Unwahrheit

Doch es waren russische Medien, die im Fall mehr als nur übertrieben. Sie haben schlicht die Unwahrheit berichtet. So hatte Ivan Blagoi, Berliner Korrespondenten des russischen Staatsfernsehens „Channel One Russia“, am 16. Januar in einem Fernsehbeitrag über die vorgebliche Vergewaltigung der 13-Jährigen unter anderem berichtet: „In Deutschland vergewaltigen Migranten Minderjährige. Die Behörden tun nichts, die Täter werden nicht bestraft. So sieht die neue Ordnung in Deutschland aus! In Berlin wurde ein 13-jähriges Mädchen von drei arabischen Flüchtlingen auf dem Schulweg in ein Auto gelockt, in eine Wohnung verschleppt und dort 24 Stunden lang misshandelt und vergewaltigt.“

Doch zu diesem Zeitpunkt hatten Berliner Staatsanwaltschaft und Polizei längst klar gemacht, dass es weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung gegeben hat.

Heftige Diskussionen in den sozialen Netzwerken

Blagois TV-Reportage hatte heftige Diskussionen in den sozialen Netzwerken zur Folge. Eine Flut von Hasskommentaren ergoss sich über Flüchtlinge und die deutsche Polizei. Es folgten Proteste und Demonstrationen von Russlanddeutschen in Berlin und in Süddeutschland. Und die Berichterstattung zum Fall hatte zu einer diplomatischen Krise zwischen Russland und Deutschland geführt.

Außenminister Steinmeier sagte in der Pressekonferenz am Mittwoch: „Beim Fall Lisa haben Sergej Lawrow und ich damals Kontakt gehabt, weil es öffentliche Äußerungen gab, die zu dem Zeitpunkt völlig ungerechtfertigt waren.“ Es habe eine öffentliche Ermittlung durch Polizei und Staatsanwaltschaft gegeben, die so schnell wie möglich Untersuchungsergebnisse vorlegen wollte.

„Sobald diese vorlagen“, sagte Steinmeier, „haben wir sie der Botschaft Russlands in Berlin übergeben. Die Ergebnisse zeigten, dass die öffentlichen Verdächtigungen, wie sie auch hier in Russland gehegt worden sind, haltlos waren.“

Steinmeier: „Russlanddeutsche überwiegend gut integriert“

Zum Thema der russischen Community in Deutschland sagte der Außenminister: „Wir schätzen die vielen Hunderttausende, die zu Zeiten der Sowjetunion oder später aus Russland zu uns gekommen sind, bei uns und mit uns leben. Die Pflege ihrer Traditionen wird mit öffentlichen Geldern gefördert.“ Es sei eine Bevölkerungsgruppe, „zu der wir großes Vertrauen haben und die ganz überwiegend gut integriert ist in die deutsche Gesellschaft“.

Steinmeier bat nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ die russische Seite darum, dass sie den Untersuchungen der deutschen Ermittlungsbehörden vertraue. Er könne nur hoffen, so der Außenminister, „dass sich Schwierigkeiten, wie wir sie im Fall Lisa hatten, nicht wiederholen.“

Das scheint die russischen Medien nicht wirklich zu interessieren. Denn der Bericht von Sputnik zum Treffen der Außenminister endet mit dem Satz. „Die Berliner Staatsanwaltschaft hat den Fall um die mutmaßliche Vergewaltigung übernommen. Es gibt zwei Verdächtige türkischer Abstammung.“

Ermittlungsverfahren gegen Reporter eingestellt

Erneut wird von Vergewaltigung gesprochen, obwohl die Berliner Staatsanwaltschaft schon vor Wochen klar gemacht hat, dass ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs gegen die beiden Männer eingeleitet wurde. Dabei geht es um den Verdacht, dass es lange vor dem vermeintlichen Entführungsfall im Januar möglicherweise einvernehmliche Sexualkontakte des Mädchens zu den zwei Männern gab. Weil aber Sex mit Kindern strafbar ist, wird wegen sexuellen Missbrauchs ermittelt. Insider warnen aber nun davor, dass Moskau ein bevorstehender Prozess gegen die beiden Männer mit Migrationshintergrund für neue Propaganda-Attacken nutzen könnten.

Russische Medien haben dagegen von der deutschen Justiz nichts zu befürchten. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen den russischen Journalisten Ivan Blagoi wegen Volksverhetzung am 7. März eingestellt. Der Konstanzer Rechtsanwalt Martin Luithle hatte am 19. Januar gegen ihn Strafanzeige wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Verleumdung gestellt.