Peking. Er bringt Kritik an, aber ohne die Gastgeber zu brüskieren: Bundespräsident Joachim Gauck wirbt in China für eine politische Öffnung.

Im Garten des Sommerpalastes wirkt dieser Staatsbesuch ganz entspannt und harmonisch. Joachim Gauck spaziert Hand in Hand mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt durch die weltberühmten Anlagen chinesischer Gartenkunst im Nordwesten Pekings. Die ersten Kirschbäume blühen, die Frühlingssonne wärmt schon: „Eine Augenweide“, sagt der Bundespräsident vergnügt, er dirigiert die Kameraleute zu einem Präsidentenfoto und lädt die chinesische Führerin, die so gut Deutsch spricht, „auf eine Tasse Tee“ ins Schloss Bellevue.

Doch das Bild der Harmonie trügt. Gerade deshalb ist der Präsident jetzt wohl so vergnügt. Eben noch hat er sich in der Zentralen Parteischule der Kommunistischen Partei eine Stunde lang mit Funktionären und Professoren so angriffslustig auseinandergesetzt, dass Begleiter aus der deutschen Delegation hinterher bewundernd sagen: „Das war brutal, das ging bis hart an die Schmerzgrenze.“ Und wenig später spricht Gauck auch im Gespräch mit Ministerpräsident Li Keqiang und Xi Jinping schwierige Punkte zielsicher an.

Deutliche Kritik freundlich lächelnd

Der Bundespräsident, das wird schon am ersten Tag seines Staatsbesuchs deutlich, bleibt sich selbst treu – und übt freundlich lächelnd, aber dafür umso deutlicher Kritik vor allem an den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen und fehlender Rechtsstaatlichkeit in China. „Ich habe heikle Themen nicht gescheut“, bilanziert Gauck später, er lasse sich nicht vom Thema Menschenrechte abbringen. So hatte er es schon vorher angekündigt. Gauck, der Freiheitsprediger und Antikommunist, steht dem kommunistischen Herrschaftssystem im Reich der Mitte mit großer Skepsis gegenüber, er macht gar keinen Hehl daraus.

Aber die mehrfache Einladung von Präsident Xi konnte er nicht ausschlagen. Schon seine Delegation ist nun eine klare Ansage: DGB-Chef Reiner Hoffmann ist mit dabei, er soll für die Selbstorganisation der Arbeitnehmer werben. Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche gehören dazu und die Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler (SPD). Ein Balanceakt: Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler will sich und seinen eigenen Widerstand gegen Unterdrückung durch ein sozialistisches Regime nicht verleugnen – aber er darf die deutsch-chinesischen Beziehungen dabei nicht gefährden. China ist ein wichtiger Handelspartner und ein strategischer Partner.

Aufgeschlossene Gastgeber

Aber andererseits wissen die Chinesen natürlich, wen sie eingeladen haben – und reagieren ungewöhnlich aufgeschlossen. Morgens in der Parteischule sind die Gastgeber von der Kommunistischen Partei auf alles vorbereitet, nur Journalisten sind vorsichtshalber ausgeschlossen. Gauck problematisiert den Vorrang der Partei zulasten des Rechtsstaats, spricht von einem Dilemma.

Er empfiehlt freie Gewerkschaften, und als die Gastgeber auf ihre Organisationen hinweisen, sagt er: „Das kenne ich aus der DDR vom FDGB“; die Entscheidungen habe stets die Partei getroffen. Gauck hat in der DDR selbst die marxistisch-leninistische Schulung über sich ergehen lassen, er kennt die Zwischentöne, er sieht die Widersprüche im chinesischen System, das jetzt zwar Privateigentum zulässt, an anderen Dogmen aber festhält. „Wie kann die Arbeiterklasse besser befreit werden?“, fragt er, verweist auf die vielen Streiks. Überzeugen lassen sich die Funktionäre nicht: Nur der chinesische Sozialismus könne China retten, heißt es, alle anderen Wege seien fehlgeschlagen. Und einen Widerspruch zwischen Rechtsstaatlichkeit und der KP-Herrschaft sehen sie auch nicht.

Gauck macht nicht den Lehrmeister

„Ich weiß, am Ende hat immer die kommunistische Partei recht“, sagt Gauck einmal, da lachen auch die chinesischen Gesprächspartner.

Das scheint wohl das Geheimnis des Präsidenten: Er trägt seine Kritik höflich vor, er brüskiert seine Gastgeber nicht – und spricht lieber über eigene Erfahrungen, als den Lehrmeister zu geben. So bleibt auch die Atmosphäre später in der Großen Halle des Volkes freundlich. Erst vor einer Woche ist hier die Tagung des Nationalen Volkskongresses zu Ende gegangen. Jetzt werden zum Empfang mit militärischen Ehren Böllerschüsse vom benachbarten Platz des Himmlischen Friedens abgefeuert. Gauck blickt stumm auf das wegen seines Besuchs abgeriegelte Gelände, auf dem 1989 ein Studentenaufstand blutig beendet wurde. Ihm ist das alles noch präsent, man ahnt, was in ihm vorgeht.

Im 80 mal 20 Meter großen Ostsaal der Großen Halle spricht Xi von der „Verfestigung und Verstärkung der Partnerschaft“. Gauck, ein riesiges Wandgemälde mit chinesischer Gebirgslandschaft im Rücken, sagt, beide Staaten hätten keine leichte Zeit zu bewältigen, doch trotz unterschiedlicher Systeme gingen sie aufeinander zu. Später überreicht er eine Liste von verfolgten und inhaftierten Bürgerrechtlern mit der Bitte, sie freizulassen. Die Brisanz ist offenkundig: Die Regierung verfolgt unter dem Druck der Wirtschaftsprobleme einen neuen Kurs innenpolitischer Härte auf Kosten von Freiheits- und Bürgerrechten – Menschenrechtler beklagen eine verschärfte Verfolgung: Mehr als 300 Anwälte, Menschenrechtsaktivisten wurden festgenommen, unter Hausarrest gehalten oder sind verschwunden.

Li spricht von „altem Freund“ Gauck

Chinesische Funktionäre erklären später, es gebe kein Menschenrechtsproblem, es gebe unterschiedliche Ansichten, aber man wolle auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Xi ist im kleinen Kreis aufgeschlossener, wie Teilnehmer berichten.

Er mache sich Sorgen, dass die führende Schicht nicht ausreichend Vertrauen der Bevölkerung habe, umwirbt Gauck seine Gesprächspartner. Rechtssicherheit sei das beste Mittel, um Vertrauen zu schaffen. „Wir leben in verschiedenen Welten und versuchen, uns näher zu kommen“, plädiert er für Dialog. Die Gastgeber sind angetan. Premier Li nennt Gauck einen „alten Freund“, Xi lobt zum Abschied „ein gutes Gespräch“. Und die Professoren der Parteischule bitten sogar um Fortsetzung des Gesprächs in Berlin.