Berlin. Der Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei ist beschlossen. Die Rücknahme von Flüchtlingen lässt sich Ankara von der EU teuer bezahlen.

Bei der Eindämmung der Flüchtlingskrise gilt die Türkei als Schlüsselland. Deswegen haben die 28 EU-Staats- und Regierungschefs Ankara weitgehende Zugeständnisse gemacht. Der am Freitag beschlossene EU-Türkei-Kompromiss soll ab Sonntag gelten.

Kernpunkte: Die Türkei nimmt illegale Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück. Im Gegenzug bringt die EU für jeden abgeschobenen Syrer einen legalen syrischen Migranten aus der Türkei unter. Die Regierung in Ankara verpflichtet sich, schärfer gegen illegale Schlepper vorzugehen und die Außengrenzen besser zu kontrollieren. Dafür bekommt sie insgesamt sechs Milliarden Euro von der EU. Ferner erhält die Türkei Visaerleichterungen bei Einreisen in die EU sowie langfristig eine Perspektive für einen Beitritt in die Gemeinschaft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte das Gipfel-Ergebnis. Die Botschaft an die Flüchtlinge sei klar: „Wer sich auf diesen gefährlichen Weg begibt, riskiert nicht nur sein Leben, sondern hat eben auch keine Aussicht auf Erfolg.“ Europa werde es schaffen, die Bewährungsprobe zu bestehen. Doch die EU zahlt für diesen Deal einen hohen Preis. Doch die EU zahlt für diesen Deal einen hohen Preis.

Geld

Die Türkei ist das Land, das den meisten Flüchtlingen aus Nahost Zuflucht bietet – rund 2,7 Millionen aus Syrien und 300.000 aus dem Irak und Afghanistan. Zumindest einen Teil der Ausgaben hierfür will sich die Türkei von der EU bezahlen lassen. Zu den bereits zugesagten drei Milliarden Euro soll noch einmal die gleiche Summe kommen. Dass dies angesichts der höchst instabilen Lage im Nahen Osten reicht, darf bezweifelt werden.

Erpressbarkeit

Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan entwickelt sich die Türkei zunehmend zu einer autoritären Demokratie. Auch gegenüber der EU ist Erdogan wenig zimperlich. So soll er bei einem Dreiergespräch mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk im November 2015 unverhohlen gedroht haben: „Wir können die Türen nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen, und wir können Flüchtlinge in Busse stecken.“ Nach unwidersprochenen Presseberichten wollte Erdogan damit durchboxen, dass die EU als Ausgleich für die Versorgung von Flüchtlingen sechs statt nur drei Milliarden Euro zahlt.

Menschenrechte

Öffentliche Kundgebungen sind in der Türkei unerwünscht – vor allem, wenn sich damit Forderungen an die Regierung verbinden. So löste die Polizei in Istanbul eine Demonstration anlässlich des Weltfrauentags am 7. März gewaltsam auf. Bereits in seiner Zeit als Ministerpräsident ging Erdogan rücksichtslos gegen Kritiker vor.

So setzte er im Mai 2013 Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten ein, die auf dem Taksim-Platz in Istanbul gegen die Modernisierung eines Stadtviertels protestierten. Im Dezember 2013 geriet die Regierung Erdogan in einen Korruptionsskandal. Staatsanwälte und Richter wurden von der Regierung unter Druck gesetzt.

Pressefreiheit

Unabhängige Medien sind Erdogan schon lange ein Dorn im Auge. Vor allem einheimische Zeitungen und Rundfunkkanäle stehen unter großem Druck. Erst vor zwei Wochen wurde in der Türkei die größte Oppositionszeitung „Zaman“ unter staatliche Kontrolle und auf Regierungskurs gezwungen. „Zaman“ stand dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen nahe, der sich mit Erdogan überworfen hat und dessen Bewegung in der Türkei inzwischen als Terrororganisation eingestuft wird. Dem Chefredakteur der unabhängigen kritischen Zeitung „Cumhuriyet“ und dem Hauptstadtbüroleiter droht in einem Verfahren wegen „Spionage“ lebenslange Haft.

Doch auch die ausländischen Medien werden gegängelt. So zog das Magazin „Spiegel“ seinen Korrespondenten aus der Türkei ab, nachdem ihm zuvor die Akkreditierung verweigert worden war. Die „Welt“ hat ihren Korrespondenten ebenfalls außer Landes gebracht.

Terrorgefahr

Erdogan fährt einen Zweifrontenkrieg, der das Land immer angreifbarer für Terroranschläge macht. So bekämpft die Regierung seit dem vergangenen Herbst die Extremistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS). Zuvor hatte Ankara die Dschihadisten in ihrem Feldzug gegen syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstützt. Auf der anderen Seite geht Erdogan seit Sommer 2015 massiv gegen die Kurden im Südosten der Türkei, in Nordsyrien und im Nordirak vor – insbesondere gegen die PKK und deren Ableger. Seitdem hat die Zahl der Anschläge kurdischer Extremisten in der Türkei zugenommen. Die enge Partnerschaft mit Ankara rückt auch die EU noch mehr ins Visier von IS und PKK.

Reaktion

Grünen-Chef Cem Özdemir übte scharfe Kritik. „Der ausgehandelte Deal stellt europäische Werte in Frage“, sagte Özdemir dieser Zeitung. „Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass ein Land, das seine eigenen Bürger verfolgt und malträtiert, Sicherheit für Geflüchtete bieten kann?“ Der Parteichef erinnerte an den Bürgerkrieg im Südosten sowie an die Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten. Wer dies ausblende, gefährde auch die Sicherheit Europas.