Berlin. Der langjährige FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle stirbt an den Folgen seiner Krebserkrankung. Er war noch voller Hoffnung.
Eines sagte Guido Westerwelle immer wieder. „Ich will nicht nur überleben, ich will leben.“ Es war im vergangenen November, an einem kühlen und sonnigen Morgen, als der ehemalige Außenminister sein Buch „Zwischen zwei Leben“ im Berliner Ensemble vorstellte. Der Termin an diesem Sonntagvormittag war etwas Besonderes, und das wussten alle, die da waren. In dem kleinen, getäfelten Saal sogen die Zuhörer seine Worte auf, nahmen dankbar jedes Nicken, Winken, Lächeln des einst so lauten FDP-Politikers an. Viele Weggefährten waren da, wie Silvana Koch-Mehrin, die ehemalige Europa-Abgeordnete, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, die frühere ARD-Polittalkerin Sabine Christiansen, der US-Botschafter John B. Emerson, Freunde aus der Partei, Wirtschaft und aus der Heimat. Es herrschte eine andächtige Stimmung im Raum. Und über allem lag die Frage: Wie geht es ihm? Und was hat die Krankheit mit ihm gemacht?
Guido Westerwelle starb am Freitag im Alter von 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämiebehandlung in der Universitätsklinik in Köln, wie seine Stiftung, die Westerwelle-Foundation, mitteilte. Auf deren Internetseite ist ein Foto von ihm und seinem Ehemann Michael Mronz veröffentlicht. Sie stehen im Wind, hinter ihnen sieht man das aufgewühlte Meer. Sie lachen, und weil der Tag so hell ist, müssen beide in die Kamera blinzeln. Neben dem Foto steht: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt.“ Absender dieser Worte sind: „Guido Westerwelle und Michael Mronz, Köln, den 18. März 2016“.
An dem Morgen im Berliner Ensemble war seine Stimme krankheitsbedingt leise. Auf die Frage der Moderatorin Dunja Hayali, wie es ihm gehe, antwortete er: „Eigentlich ganz gut. Ich hatte schon bessere Phasen, aber auch sehr viel schlechtere. Ich kämpfe gerade mit einer Abstoßungsreaktion. Also, wenn ich etwas nuschle oder etwas zum Gurgeln brauche, liegt das daran.“ Dann machte er eine Pause und sagte: „Vor einem Jahr hätte ich diesen Zustand herbeigesehnt.“
Politische Ausnahmekarriere
Im Juni 2014 wurde bei ihm eine besonders schwere Form von Blutkrebs diagnostiziert – fast ein halbes Jahr auf den Tag genau nach seinem letzten Tag als Außenminister. Er hatte bereits Pläne für die Zeit nach der Politik gemacht. Für das Leben danach. Doch von einem Tag auf den anderen hieß es nur noch Überleben. Es folgten Chemotherapie und die Suche nach einem Stammzellenspender. Er hat Glück im Unglück, ein geeigneter Spender wird gefunden. Er überlebt die Transplantation.
Das Leben von Guido Westerwelle in Bildern
Bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung nach der verlorenen Wahl im September 2013 konnte er auf eine Ausnahmekarriere zurückblicken. Mit dem Bonner Juristen holten die Liberalen bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 das beste Ergebnis in der Nachkriegszeit. Dieser Tag ist wohl der größte Erfolg seines politischen Lebens. Die FDP konnte mit 14,6 Prozent ihr Oppositionsdasein verlassen und bildete mit der Union die Regierung.
Westerwelle wurde Außenminister und Vizekanzler. Doch schon wenige Monate später folgte der Absturz. Die Zustimmung für die FDP rutschte rapide in den Keller. Aus dem Sieger wurde der Sündenbock.
Westerwelle machte sich für weltweite Abrüstung stark
Westerwelle musste sich den Vorwurf gefallen lassen, seine Partei zu wenig aufs Regieren vorbereitet zu haben. Ihm wurde angelastet, dass er auf das Finanzministerium verzichtete, obwohl die FDP eine Steuerreform im Wahlkampf zum Kernthema erkoren hatte. Sein Ausrutscher, als er im Zusammenhang mit Hartz-IV-Empfängern von „spätrömischer Dekadenz“ sprach, bestätigte für Kritiker einmal wieder das sozial kalte Image der FDP.
Nach wochenlangen Personalquerelen wurde Westerwelle schließlich im Frühjahr 2011 zum Rückzug vom Vorsitz gedrängt. Er blieb Außenminister und machte sich für weltweite Abrüstung und eine „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ stark. Für Aufsehen und Verstimmung bei den westlichen Bündnispartnern sorgte er im März 2011 mit der Enthaltung bei der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen zum Schutz der Bevölkerung. Als diplomatischen Erfolg konnte Westerwelle die Wahl Deutschlands zum nicht ständigen Mitglied in den UN-Sicherheitsrat für zwei Jahre ab Januar 2011 verbuchen.
Im Ukraine-Konflikt vermittelte Guido Westerwelle quasi bis zu seinem letzten Tag im Amt. Mit einem Rückblick auf den 5. Dezember 2013 beginnt auch sein Buch. Er erzählt, wie er am Abend vor der Jahrestagung der Außenminister in Kiew zu den Demonstranten auf dem Maidan ging, wo ein paar Tage zuvor Journalisten verprügelt worden waren. Er schreibt: „Warum erlebt man die Magie einer Idee vor allem dort, wo sie noch keine Selbstverständlichkeit ist? Warum erkennen wir erst im Mangel oder Verlust, was uns wirklich wichtig ist? Und warum hatte ich das Gefühl, in dieser Nacht in der Mitte Europas zu sein, wo ich mich doch in Wirklichkeit sehr weit im Osten, ja am äußersten Rand Europas befand?“ Am Ende seiner politischen Karriere war das der neue Ton des Liberalen. Fragend, abwägend und von ganzem Herzen Europäer.
So reagieren die Medien auf den Tod
Nicht mehr der Provokateur, nicht mehr der scharfe Rhetoriker
Kalkül und Strategie der Worte, die DNA-Merkmale eines Spitzenpolitikers, waren ihm abhanden gekommen. So klang auch alles ehrlich und offen, was Guido Westerwelle an diesem Vormittag im November sagte, seinem letzten Besuch in Berlin.
Guido Westerwelle war ein anderer geworden. So war das allgemeine Fazit der Medien. Und als solcher zeigte er sich in diesen Tagen im November den Menschen in Deutschland. Er war plötzlich wieder überall, in der Talksendung von Günther Jauch, im „Spiegel“, in der „Bild“, in der „Bunten“. Es war kurze Zeit wieder wie früher. Doch er war nicht mehr der Provokateur, der scharfe Rhetoriker, der mit den 18-Prozent unter der Schuhsohle.
Er bewegte als Mensch, der ums Überleben kämpfte. Er schilderte die Zeit mit der Krankheit und rührte zu Tränen. In einem Punkt war sein Kalkül aufgegangen, er wollte mit seinem Buch denen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind. Für diese Menschen hat er sein Buch „über Liebe, Tod und Zuversicht“ geschrieben. Zudem wollte er auf die Stammzellenspende aufmerksam machen. „Es ist kein Krankheitsbuch, kein Todesbuch. Es ist ein Lebensbuch. Und wenn dieses Buch auch nur hundert Menschen dazu bringt, sich als Spender registrieren zu lassen, dann rettet das wieder Menschenleben.“
Und so ist vielleicht dieses letzte Vorhaben die Lebensleistung, die ihm am Ende besonders wichtig war: Die Sprecherin der Deutschen Stammzellenspenderdatei versicherte am Freitag unserer Redaktion, dass sich nach Guido Westerwelles Buchveröffentlichung und seinen Auftritten im November immer mehr Bundesbürger als Stammzellenspender registrieren lassen. Die Bereitschaft halte immer noch an.