Der Grünen-Chef Cem Özdemir spricht im Interview über das Leben, Wahlen und die Drogenpolitik seiner Partei. Aber eins bleibt offen.

Berlin Der Wahlkampf hat ihn Kraft gekostet, Cem Özdemir kommt erkältet zum Redaktionsbesuch. Den Erfolg in Baden-Württemberg, wo die Grünen bei den Landtagswahlen mit 30,3 Prozent stärkste Kraft wurden, kommentiert der Parteivorsitzende nüchtern: „Als Schwabe warne ich vor Großspurigkeit.“

Herr Özdemir, sind Sie jetzt Vorsitzender einer Volkspartei?

Cem Özdemir: Na ja, als Bundesvorsitzender der Grünen weiß ich natürlich, dass die Bandbreite unserer Wahlergebnisse recht groß ist. Aber die Freude hält an, dass wir in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann stärkste Kraft geworden sind. Wenn mir das jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt.

Was können die Grünen von Kretschmann lernen?

Özdemir: Ich finde es ja klasse, dass viele in meiner Partei davon jetzt lernen wollen. Aber man muss sich die Arbeit von Winfried Kretschmann schon genau anschauen. Er ist kein Schwarzer mit etwas Grün drumherum, kein Erwin Teufel mit Windrad. Winfried Kretschmann spricht, wie nur ein Grüner sprechen kann. Und er hat Baden-Württemberg stark verändert – angefangen von der Bildungspolitik über die Wirtschaftspolitik bis hin zur Familienpolitik. Es gibt allerdings eine Erkenntnis, aus der man lernen kann. Die Grünen in Baden-Württemberg haben schon vor vielen Jahren einen wichtigen Gedanken verinnerlicht: Die Oppositionsbänke sind nicht dafür da, dass man sich darauf wohlfühlt. Die Oppositionszeit dient dazu, dass man sich auf die Regierung vorbereitet.

Wie wollen Sie die CDU davon überzeugen, in ihrem Stammland den Juniorpartner der Grünen zu geben?

Özdemir: Ich rate allen dazu, an das Landesinteresse zu denken. Ich bin etwas enttäuscht, dass die FDP die Landtagswahlen eher als Testlauf für die Bundestagswahl sieht und sich einer Ampelkonstellation mit Grünen und SPD in Baden-Württemberg verweigert. Die Wähler sollten sich merken, wie die FDP mit ihrer staatspolitischen Verantwortung umgeht. Die CDU ist in keiner einfachen Situation. Vielleicht ist es für sie aber auch nicht ganz unattraktiv, diesen Kretschmann, der ihnen den Ball abgenommen hat, in einer gemeinsamen Regierung in Manndeckung zu nehmen.

Am Ende der Wahlperiode wird Kretschmann 73 Jahre alt sein. Können Sie sich vorstellen, ihn zu beerben?

Özdemir: Ich unterstütze Baden-Württemberg nach Kräften. Aber meine Rolle ist in der Bundespolitik. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass die Grünen auch im Bund stärker werden, breitere Gesellschaftsschichten ansprechen und 2017 in die Bundesregierung kommen.

Ihre Parteifreunde Katrin Göring-Eckardt, Robert Habeck und Anton Hofreiter haben ihr Interesse an der Spitzenkandidatur bereits bekundet. Wie lange zögern Sie noch?

Özdemir: Ich zögere nicht. Die Entscheidung habe ich für mich persönlich schon lange getroffen. Als Bundesvorsitzender war es meine Aufgabe, einen erfolgreichen Parteitag durchzuführen – und in den Landtagswahlkämpfen meinen Job gut zu machen. Ich werde bald bekannt geben, welchen Beitrag ich für meine Partei im nächsten Bundestagswahlkampf leisten möchte.

Klingt nicht, als würden Sie verzichten.

Özdemir: Die Deutung liegt bei Ihnen.

Wird es eine Spitzenkandidatur oder eine Kanzlerkandidatur?

Özdemir: Als Schwabe warne ich vor Großspurigkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Bund größter Partner in einer Koalition werden, hält sich in einem überschaubaren Rahmen. Einen grünen Kanzler wird es nicht geben.

Folgt auf Schwarz-Grün in Hessen und Grün-Schwarz in Baden-Württemberg ein Bündnis mit der CDU auch im Bund?

Özdemir: Wir haben uns bei zwei Bundestagswahlen in Folge vergeblich um rot-grüne Mehrheiten bemüht. Da fällt uns jetzt kein Zacken aus der Krone, wenn wir uns nach anderen Mehrheiten umschauen, wo immer es sie unter den demokratischen Parteien gibt. Zwischen Union und Grünen gibt keinen unauflösbaren Widerspruch. Wir schlagen nicht die ideologischen Schlachten von gestern. Wichtig ist allerdings, dass die grünen Inhalte stimmen. Schwarz-Grün ergibt sich nicht automatisch, sondern nur durch einen kräftigen Tritt in den Hintern. Wer mit uns koaliert, muss sich darauf einstellen, dass es nicht einfach weiter so geht. Es braucht einen Weckruf in Berlin.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Schwarz-Grün auf Bundesebene funktioniert?

Özdemir: Für 2017 geht es besonders um drei Felder. Das erste ist die ökologische Modernisierung. Deutschland muss aus der Kohleenergie aussteigen. Gemeinsam mit den Unternehmen wollen wir Deutschland zum Modell für wirtschaftliche Stärke ohne Umweltzerstörung machen.

Cem Özdemir im Interview.
Cem Özdemir im Interview. © Amin Akhtar | Amin Akhtar

Das zweite Thema ist ein weltoffenes Deutschland. Dazu gehört, Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren und Fluchtursachen zu bekämpfen. Eine Bundesregierung, an der sich die Grünen beteiligen, muss sich für einen europäischen Marshallplan für Nordafrika einsetzen, damit die Menschen dort eine Perspektive bekommen. Und drittens brauchen wir in unserer Gesellschaft mehr soziale Gerechtigkeit, vor allem auch mehr Durchlässigkeit. Ein Arbeiterkind muss die Chance auf einen akademischen Abschluss bekommen. In unserem Bildungssystem darf die Frage der Herkunft und des Geldbeutels nicht mehr die entscheidende Rolle spielen. Einheimische und Flüchtlinge dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Diese drei Punkte sind für mich die entscheidenden Maßstäbe, ob Koalitionen zustande kommen.

Vor einigen Monaten sind Sie mit einem halb politischen Thema stark wahrgenommen worden: dem Hanf auf Ihrem Balkon. Wie geht es der Pflanze im Winter?

Özdemir: Ich habe noch nie eine Hanfpflanze besessen und ich bin auch Nichtraucher. Diese Pflanze ist ausgeliehen und wohlbehütet wieder zurückgegeben worden. Meine Botschaft war klar: Wir sollten die Gesetzeslage für weiche Drogen ändern.

Die Grünen sagen: Cannabis ist okay, Crys­tal Meth nicht. Überzeugen Sie bürgerliche Wähler mit dieser Unterscheidung?

Özdemir: Es gibt inzwischen einen gesellschaftlichen Konsens, dass man differenzieren muss zwischen harten Drogen und Drogen wie Nikotin, Alkohol und eben auch Cannabis. Wir brauchen ein Cannabis-Kontrollgesetz – und zwar nicht, weil wir freie Drogen für alle wollen, sondern um den Konsum besser zu regulieren. Wir würden auch unserer Polizei die Arbeit gegen den Schwarzmarkt erleichtern. Grundsätzlich darf es Cannabis nur in dafür lizenzierten Geschäften und erst ab 18 Jahren geben. Winfried Kretschmann trägt diese Position übrigens mit, und er hat die Grünen in Baden-Württemberg zur stärksten Partei gemacht. Die Reform der Drogenpolitik bleibt Bestandteil unseres Forderungskatalogs.

Der Grünen-Politiker Volker Beck ist bei einer Polizeikontrolle mit einer harten Droge erwischt worden. Welche Zukunft hat er in Ihrer Partei?

Özdemir: Volker Beck hat für die Partei und für die Gesellschaft vieles erreicht. Wir müssen jetzt erst einmal die Ermittlungen abwarten.