Brüssel. Die Lösung zur Eindämmung der Flüchtlingskrise hat der EU-Türkei-Gipfel vertagt. Was klar ist und was am 18. März geklärt werden muss.

Der Gipfel hat Überstunden gemacht, ist aber nicht fertig geworden. Die Mammutaufgabe: Die irregulären Flüchtlingsströme sollen durch ein geordnetes Verfahren beendet werden. Nun ist geplant, die Details bei einem erneuten Spitzentreffen am 17. und 18. März festzuklopfen. Währenddessen schafft Slowenien neue Fakten.

Bei mancher EU-Delegation gerieten die Deutschen in Verdacht, am Versuch der Überrumpelung beteiligt gewesen zu sein. Schließlich hatten Kanzlerin Angela Merkel und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zusammen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu am Vorabend der Konferenz die Ideen aus Ankara vorweg besprochen. EU-Ratspräsident Donald Tusk wurde dabei außen vor gelassen.

Mitverfasserin sei sie aber nicht gewesen, beteuerte Angela Merkel. „Es war so, dass der türkische Ministerpräsident mit einem Zettel kam, wo er genau diese Dinge zusammengefasst hat. Dieser Vorschlag ist allein von der türkischen Seite gemacht worden.“ Weil vieles daran neu sei, gebe es weiteren Diskussionsbedarf. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen nach dem EU-Gipfel:

Flüchtlingstausch: Wie geht das?

Kernelement ist ein wechselseitiges Rücknahmeversprechen, das Flüchtlinge von der lebensgefährlichen Meeresüberquerung abhalten soll. „Die Botschaft lautet: Die Tage der illegalen Zuwanderung nach Europa sind vorüber“, erklärte Tusk. Zunächst soll die in der vergangenen Woche angelaufene Rücküberstellung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei weitergehen. Dabei nimmt die Türkei Migranten zurück, die von ihren Küsten aus gekommen sind, in der EU aber keine Bleibeperspektive haben. Das sind vor allem Bürger aus Ländern wie Afghanistan, Pakistan oder dem Maghreb.

Die Türkei bietet nun an, aus der begrenzten Rücküberstellung eine allumfassende zu machen: Wer mit dem Boot auf die griechischen Inseln komme, könne in die Türkei zurückgeschickt werden, egal ob er Aussicht auf Asylgewährung hat oder nicht. Soweit es sich dabei um syrische Bürgerkriegsflüchtlinge – sie haben in der Regel Schutzanspruch – handelt, müsste die EU im Gegenzug dieselbe Zahl Syrer aus Lagern der UN-Flüchtlingshilfe in der Türkei aufnehmen. Sie sollen direkt in ein Aufnahmeland der EU gebracht werden und dort ihr Asylverfahren bekommen.

Wer von vornherein keine Aussicht auf Bleiberecht hat, soll sich gar nicht erst einschiffen. Die anderen sollen es nicht per Schlauchboot versuchen, sondern im offiziellen Verfahren. „Unser Ziel ist es, von illegaler Migration abzuschrecken, Schmuggler zu stoppen und zur legalen Migration zu ermuntern“, sagt Davutoglu. Merkel: „Dieser türkische Vorschlag ist ein Durchbruch, wenn er realisiert wird.“

Der Strategie-Mix aus Abschreckung und Legalisierung wird ergänzt durch ein Element, das auf einer EU-internen Vereinbarung beruht. Wegen des Widerstands der Deutschen strich der Gipfel die Formulierung, die Westbalkanroute sei „jetzt geschlossen“. Die neue Klausel („Die irregulären Migrationsströme entlang der Westbalkanroute sind beendet“) läuft freilich auf dasselbe Signal hinaus: kein Durchkommen mehr. Und faktisch vollzog Slowenien den Schritt auch bereits mit der Ankündigung, vom Dienstag, ab Mitternacht Migranten nur noch ins Land zu lassen, wenn sie dort ein Visa vorweisen können.

Wie funktioniert die Visa-Freiheit für Türken?

Für die Aufhebung der Visumspflicht war bislang Anfang Oktober angepeilt. Weil das unter anderem an die Rücknahme irregulärer Migranten aus der EU gekoppelt ist, die nun zügiger kommen soll, wollen die Türken auch die Reisefreiheit schneller haben, „spätestens Ende Juni“. Das liegt freilich in erster Linie an den Türken selbst. Der Verzicht auf Sichtvermerke hängt nämlich davon ab, dass eine Liste von insgesamt 72 Voraussetzungen abgearbeitet wird. Dabei geht es nicht nur um praktische und technische Erfordernisse wie etwa biometrische Pässe, sondern etwa auch um den Zugang zu den Datenspeichern von Europol oder Eurojust. Der wiederum setzt einen Datenschutz voraus, den die Türkei bislang nicht gewährleistet. Davutoglu: „Wir werden alle unsere Aufgaben erledigen!“

Kommt der EU-Beitritt der Türkei?

Auch hier drängt Ankara auf mehr Tempo. „So schnell wie möglich“ müssten fünf weitere Verhandlungskapitel (von insgesamt 35) in Angriff genommen werden. Die Kommission ist bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt. Unter anderem soll über Grundrechte und Justiz geredet werden – das böte Gelegenheit, direkt zu thematisieren, dass der Umgang mit Rechtsstaatsprinzip und Menschenrechten unter dem autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht annähernd EU-Standards entspricht. Bevor es so weit ist, müssen freilich alle EU-Regierungen zustimmen. „Das wird noch ein dickes Brett“, schwant Merkel. Was ist mit dem prinzipiellen Widerstand der CDU/CSU gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft? Da wird die Kanzlerin schmallippig: „Die Frage stellt sich zurzeit nicht.“ Die Verhandlungen seien weiter „ergebnisoffen“. Im Übrigen liege es im europäischen Interesse, „mit der Türkei eine strategische Beziehung zu entwickeln, die uns geopolitisch hilft.“

Wie viel Geld erhält Ankara?

Laut Ministerpräsident Davutoglu ist die Türkei „der Welt größtes Gastland für Flüchtlinge“. Man habe bereits zehn Milliarden Euro für die Flüchtlinge in Lagern aufgebracht. Bislang hat die EU drei Milliarden Euro versprochen, um die Unterbringung, Versorgung und Integration der Vertriebenen in der Türkei zu unterstützen.

Ankara möchte den Betrag nun auf sechs Milliarden Euro verdoppelt haben. Wie die Summe aufgebracht werden soll, welchen Anteil die EU-Zentrale im gemeinsamen Haushalt auftreiben kann und wie viel die Mitgliedsstaaten beisteuern müssen, ist unklar. Merkel wies darauf hin, dass es allemal kostengünstiger sei, den Verbleib der Menschen nahe ihrer Heimat zu fördern, als ihren Aufenthalt etwa in Deutschland zu finanzieren. So gesehen handelt es sich um eine Art Abstandsprämie.

Wie geht es nun weiter?

Bis zum nächsten Gipfel am 17./18. März sollen die Details des Deals ausgearbeitet werden, sodass Merkel und Co. die Abmachung besiegeln können. Das Kernelement – Rücküberstellung von Migranten und Flüchtlingsaustausch – bedarf nach Auskunft der EU-Kommission keiner neuen Rechtsgrundlage. Ein Rücknahmeabkommen Griechenland-Türkei gibt es bereits, ein entsprechender Vertrag mit der ganzen EU ist beschlossen und tritt im Juni in Kraft. In diesem Rahmen könne auch das nun angepeilte Verfahren stattfinden, heißt es.

Bei der Visa-Freiheit ist zunächst die Kommission am Zug: Sie überwacht, ob und wann die Türkei ihr Pflichtenheft abgearbeitet hat. Wenn Brüssel Vollzug meldet, muss der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit grünes Licht geben und das EU-Parlament zustimmen.

Noch enger ist die nationale Kontrolle der Beitrittsverhandlungen: Für Öffnung und Abschluss jedes einzelnen Kapitels bedarf es eines einstimmigen Beschlusses aller EU-Regierungen. Mit anderen Worten: Ohne Zypern läuft gar nichts. In Zypern allerdings eine ganze Menge. Die internationale Diplomatie rechnet fest mit einer Beilegung des mehr als vier Jahrzehnte alten griechisch-türkischen Konflikts um die Teilung der Insel. Wenn das im Frühjahr gelingt, dürfte sich auch die Haltung des EU-Mitglieds Zypern ändern.