Berlin. Der Pressekodex fordert Zurückhaltung bei Angaben zur Herkunft von Straftätern. Die entsprechende Richtlinie steht aber in der Kritik.

Die Frage ist alt, die Antwort nicht einfach: Sollen Medien Angaben zur Herkunft oder Religion von Straftätern machen? Eine Orientierungshilfe gibt der Deutsche Presserat in seinem Pressekodex. Unter Ziffer 12 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Die Richtlinie 12.1. regelt die Berichterstattung über Straftaten. Sie ist jedoch umstritten. Die Kritik daran ist zuletzt lauter geworden, insbesondere nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln. Am Mittwoch diskutiert der Deutsche Presserat über die Frage – nicht öffentlich.

Wie lautet die Richtlinie 12.1?

„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Verbietet die Richtlinie 12.1, die Nationalität eines Straftäters zu nennen?

Nein, aber es muss einen Zusammenhang mit der Straftat geben. So hat der Presserat eine Missbilligung wegen der Berichterstattung über einen angetrunkenen Autodieb ausgesprochen, bei der mehrfach erwähnt wurde, dass der Betreffende aus Polen kam. In diesem Fall habe es keinen sachlichen Bezug zwischen Tat und Nationalität gegeben.

Dagegen wies der Ausschuss eine Beschwerde über einen Artikel zu einem Fall sexueller Belästigung zurück, der den Hinweis enthielt, dass der Täter Asylbewerber war. Nach Ansicht des Presserats war diese Information gerechtfertigt, weil der Täter im Rahmen einer Fahndung in Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde aufgespürt wurde. Ohne den betreffenden Hinweis hätten Leser den Sachverhalt nicht verstehen können, lautete das Argument.

Wie lange gibt es die Richtlinie schon?

Das Diskriminierungsverbot in Ziffer 12 stand schon 1973 in der ersten Pressekodex-Fassung. Für die Richtlinie 12.1 gab es sogar eine noch ältere Variante aus dem Jahr 1971. Anlass damals war die regelmäßige Nennung der Hautfarbe in der Berichterstattung über Straftaten amerikanischer GIs, die als diskriminierend empfunden wurde.

Warum gibt es Kritik an der Richtlinie?

Die Kritiker sehen in der Nennung der Nationalität eines Straftäters eine wichtige Zusatzinformation und fühlen sich und ihre Leser bevormundet, wenn sie sie nicht nennen dürfen. Bemängelt wird auch, dass die Richtlinie keine klare Antwort wie Ja oder Nein gibt. Die Medien müssen in jedem Einzelfall neu entscheiden. Machen sie entsprechende Angaben zu Straftätern, riskieren sie, dass Leser das nicht gutheißen und sich mit einer Beschwerde an den Presserat wenden. Verzichten sie darauf, riskieren sie, dass andere ihnen vorwerfen, nicht die ganze Wahrheit zu sagen.

Schafft der Presserat die Richtlinie 12.1 am Mittwoch ab?

Nein, eine Streichung wäre an einem Nachmittag gar nicht zu verwirklichen. Hinzu kommt, dass für solche Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich wäre. Der Presserat wird zu dem Thema aber einen Wissenschaftler anhören und mögliche Konsequenzen diskutieren. Denkbar ist etwa, dass die Richtlinie ergänzt wird mit einer Liste an Beispielen, die klar macht, in welchen Fällen ein „begründeter Sachbezug“ besteht und in welchen nicht.

Gibt es häufig Beschwerden wegen Missachtung der Richtlinie?

Nein, von der Zahl der Fälle ist das ein Thema, das den Presserat eher selten beschäftigt. Von allen Eingaben entfallen auf die gesamte Ziffer 12 gut fünf Prozent, auf die Richtlinie 12.1 entsprechend noch weniger.

Zur Berichterstattung über die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln sind insgesamt 31 Beschwerden eingegangen, elf davon wurden in der Vorprüfung als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Mit den übrigen beschäftigt sich der Beschwerdeausschuss des Presserats an diesem Donnerstag, darin geht es unter anderem um den Vorwurf rassistischer und diskriminierender Berichterstattung. (dpa)