Berlin. Seit 2011 steht auf Zwangsheirat eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Bisher sind bundesweit nur zwei Männer verurteilt worden.

Die Dunkelziffer ist hoch. Jedes Jahr werden hunderte, vielleicht sogar tausende Mädchen und junge Frauen in Deutschland von Zwangsehen bedroht. Doch das seit 2011 geltende Gesetz gegen Zwangsheirat ist offenbar nur wenig effektiv, um dieses Verbrechen zu ahnden. 2012 und 2013 wurden bundesweit nur zwei Männer wegen Verstoßes gegen das Gesetz verurteilt, ein weiterer wurde freigesprochen. Dies geht aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Zahlen für die Jahre 2014 und 2015 gibt es noch nicht.

Insgesamt wurden seit 2012 jährlich rund 60 Ermittlungsverfahren in Sachen Zwangsehe von der Polizei an die Staatsanwaltschaften abgegeben. Auch das Rückkehrrecht von Zwangsverheirateten zeigte bislang keine Wirkung. Seit 2011 wurde keiner einzigen Person eine Wiedereinreise nach Deutschland gestattet, so das Ministerium.

Zwangsehen sind in Deutschland seit 2011 unter Strafe gestellt (§237). Wer einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung zur Ehe zwingt, wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft. Zuvor galt dieses Vergehen nur als schwerer Fall von Nötigung.

Keine Zahlen über Opfer von Zwangsverheiratungen

„Es ist erschütternd, dass in Deutschland noch immer hunderte von Menschen von Zwangsverheiratung bedroht sind. Doch die Bundesregierung zeigt, dass ihre Gesetze gegen Zwangsverheiratungen nichts bringen. Das 2011 eingeführte Rückkehrrecht zwangsverheirateter Personen nach Deutschland funktioniert nicht“, kritisiert die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws. „Wer die Täter verfolgen will, muss den Opferschutz rechtlich und tatsächlich verbessern.“

Tatsächlich handelt es sich bei Zwangsehen nicht nur um ein leidvolles gesellschaftliches Problem. Es ist auch statistisch kaum erfassbar. Konkrete Zahlen zu Mädchen, jungen Frauen und Männern, die gegen ihren Willen verheiratet werden, liegen nicht vor. Auch die Bundesregierung kann darauf keine Antwort geben, wie auch auf viele andere Fragen rund um das Thema. So kann das Justizministerium weder benennen, wie oft die deutsche Staatsanwaltschaft von sich aus begonnen hat, gegen Zwangsverheiratung zu ermitteln, noch wie viele Hauptverhandlungen nach §237 StGB eröffnet wurden.

Etwas Licht ins Dunkle bringt eine Umfrage der Gleichstellungsministerkonferenz unter Beratungsinstitutionen. Diese hat ergeben, dass in Berlin im Jahr 2013 460 Fälle von Zwangshochzeiten gemeldet wurden, so das Ministeriums. In Niedersachsen suchten etwa 150 Menschen Unterstützung beim Krisentelefon, in Sachsen-Anhalt etwa 100. Viele Bundesländer gaben keine Antworten. Das Ergebnis zeige, dass Frauen vor allem in jenen Bundesländern Hilfe erfahren, in denen es starke Hilfsorganisationen – wie Yasemin, agisra, kargah oder papatya – gibt, die sich um die Betroffenen kümmern, so die Grünen.

Vor allem Frauen mit türkischem Migrationshintergrund betroffen

„Von Zwangsehen sind in Deutschland vor allem Frauen mit türkischem Migrationshintergrund betroffen, weil diese die größten Migrantengruppe darstellen“, berichtet Myria Böhmecke, zuständige Referentin bei der Hilfsorganisation Terre des Femmes in Berlin. Betroffen sind auch Mädchen aus anderen patriarchalischen Nationen, in denen Frauen nicht viel Wert sind. An ihre Beratungsstelle Lana wandten sich 2015 rund 230 Betroffene. Viele der Betroffenen sind junge Frauen zwischen 18 und 21 Jahren. Meistens wenden sie sich anonym an die Beratungsstellen – aus Angst. „Vielen drohen Familienangehörige mit psychischer und physischer Gewalt oder sogar Tod, sollten sie nicht in die Ehe einwilligen“, weiß Böhmecke. „In schweren Fällen müssen die Mädchen aus ihren Familien flüchten und werden zu ihrem Schutz und mit unserer Hilfe in anderen Bundesländern untergebracht.“

Grundsätzlich befürwortet Terre des Femmes das Strafrecht gegen Zwangsehen. „Es hat eine wichtige Signalwirkung für die Mädchen, dass Zwangsehe eine Straftat ist“, sagt Böhmecke. Allerdings sollte das Recht nicht nur für standesamtliche Ehen gelten, sondern auch auf religiöse und soziale Zwangsehen ausgeweitet werden. Zudem müsse der Opferschutz in den Prozessen verbessert werden, damit sich Frauen überhaupt trauen, gegen das erlittene Unrecht zu klagen.

Für die Opfer seien bundesweit weitere Schutzeinrichtungen wichtig. Schon heute fehle laut Böhmecke eine gesicherte Finanzierung der Beratungsstellen. Auch die Grünen-Abgeordnete Schauws ist überzeugt: „Angesichts der hohen Dunkelziffer ist es enorm wichtig, dass die Beratungsstellen kompetente Beratung und Unterstützung leisten.“ Doch die Regierung hält sich zurück, wie die Antwort des Ministeriums zeigt: Der Bund hat in dem Bereich kein Projekt in den vergangenen Jahren gefördert.