Berlin. Welche Realisierungschancen besitzt das hoch umstrittene Sozialpaket von Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel? Ein Realitätscheck.

Vom Finanzminister holte sich Sigmar Gabriel die größte Ohrfeige: „Erbarmungswürdig“ nannte Wolfgang Schäuble (CDU) die Pläne des SPD-Vorsitzenden. Horst Seehofer (CSU) sprach von einer „Schnapsidee“. Auch das Presseecho war verheerend. Gabriel aber lässt sich nicht entmutigen. Er verteidigte gestern erneut sein „Sozialpaket“, das er nach mehrfachem Namenswechsel jetzt „soziales Investitions- und Modernisierungsprogramm“ getauft hat.

Darin: ein Sammelsurium an Projekten, die Flüchtlingen helfen sollen, aber auch der deutschen Bevölkerung. Das Ziel: den drohenden Absturz der SPD bei den Landtagswahlen verhindern. „Es soll helfen, die Menschen nicht in die Arme der AfD zu treiben“, sagt eine SPD-Sprecherin.

Um sein Wahlkampfprogramm umsetzen zu können, muss Gabriel dem Finanzminister einige Milliarden Euro abluchsen – weshalb er schon droht, Schäubles Haushalt zu blockieren. „Was wir in diesem Haushalt nicht unterbringen, wird nicht mehr bis zur Bundestagswahl stehen“, sagt Gabriel. Was also steckt in dem Paket? Wie realistisch ist es?

• Der Integrationsplan

Anfang Dezember 2015 stellten die drei SPD-Bundesministerinnen Andrea Nahles (Arbeit), Manuela Schwesig (Familie) und Barbara Hendricks (Bauen) einen Zwölf-Punkte-Plan zur Integration von Flüchtlingen vor. Er sieht mehr Geld für Kommunen und Länder vor, aber auch für Sprachförderung, Schulen, Kitas, für Starthilfen für Flüchtlinge im Arbeitsmarkt und Subventionen für den Wohnungsbau. Die wichtigen Punkte:

100.000 „Arbeitsgelegenheiten“ will Ministerin Nahles nach dem Vorbild der Ein-Euro-Jobs schaffen. 450 Millionen Euro will sie dafür vom Finanzminister extra haben. Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive und Geduldete sollen Hilfe bei der Ausbildung bekommen. Es soll mehr Sprachkurse geben. Ministerin Schwesig wiederum fordert 80.000 zusätzliche Kita-Plätze und 20.000 zusätzliche Erzieherstellen. Ministerin Hendricks will 1,3 Milliarden Euro zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau. Schäuble sagt, angesichts dieser Forderungen steige sein Blutdruck, „ohne dass ich Kaffee getrunken habe“. Einen Teil will er aber zahlen.

Kosten insgesamt: je nach Berechnung drei bis fünf Milliarden Euro. Wahrscheinlichkeit: mittel bis hoch.

• Die Lebensleistungsrente

Hier beginnt die Kategorie der noch offenen Projekte aus dem Koalitionsvertrag. Wer lange in die Rentenkasse gezahlt hat (35 Jahre) und dennoch im Alter weniger als 30 Rentenpunkte erreicht, soll einen Zuschuss bekommen. Ziel: eine Rente über Sozialhilfeniveau. Was sich einfach anhört, ist kompliziert und verstößt gegen grundlegende Prinzipien der Rentenversicherung – weshalb vor drei Jahren die CDU mit genau diesem Plan scheiterte. Deshalb wurde das Projekt auch ans Ende der Wahlperiode geschoben.

Kosten: Am Anfang wenige Hundert Millionen Euro, später einige Milliarden. Wahrscheinlichkeit: sehr gering.

• Rentenangleichung Ost/West

Auch ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag. Im Sommer gibt es einen Bericht der Bundesregierung darüber, wie weit sich die Rentenwerte in Ost und West angeglichen haben. Sozialministerin Nahles will einen Gesetzesentwurf zur weiteren Angleichung vorlegen. Die Union möchte das verhindern, denn die Angelegenheit ist extrem kompliziert und es könnte viele Rentner geben, die dabei verlieren.

Kosten: etwa vier Milliarden Euro. Wahrscheinlichkeit: sehr gering.

Bundesteilhabegesetz

Auch ein Projekt aus dem Koalitionsvertrag. Es geht um eine bessere Beteiligung Behinderter am Arbeitsmarkt. Die Vorarbeiten sind beendet, Ende März soll es aus Nahles’ Ministerium einen Gesetzentwurf geben, im Sommer könnte er in den Bundestag. Wirksam werden soll das Projekt 2018.

Kosten: Erst einige Milliarden, dann weniger. Wahrscheinlichkeit: mittel.

• Die Elektromobilität

Wirtschafts-, Verkehrs- und Umweltministerium wollen den Käufern eines Elektroautos von zunächst 5000 Euro Zuschuss spendieren (Geschäftskunden: 3000 Euro). Die Summe soll bis 2020 immer weiter sinken. Finanzminister Schäuble hält nicht viel davon und hat deshalb noch nicht zugestimmt. Die Autoindustrie will sich an den Kosten für die Subvention beteiligen.

Kosten: 800 Millionen für den Staat. Wahrscheinlichkeit: hoch.

• Fazit

Ein Kompromiss ist möglich. Gabriel versichert, es sei nicht das Ziel, neue Schulden aufzunehmen. Wenn die Vorhaben bei Einhaltung der schwarzen Null finanziert werden könnten, sei dies besser. Schäuble hat noch Reserven von sechs Milliarden, die er eigentlich ins Jahr 2017 mitnehmen wollte. Allerdings ist da auch noch Gabriels Drohung, dem Haushalt nicht zuzustimmen. Wenn der Finanzminister einen Entwurf ohne die SPD-Forderungen vorlege, so Gabriel, werde er den für den geplanten Kabinettsbeschluss blockieren. Käme es dazu, wäre das der erste Schritt zum Ausstieg der SPD aus der Koalition.