Idomeni. An der griechisch-mazedonischen Grenze drängen sich immer mehr Flüchtlinge. Doch gleichzeitig stehen extra errichtete Zeltstädte leer.

Der Klang dieser großen Krise hat eine neue Melodie: die Rufe der Kinder, ihre Schreie. Morgens, wenn Nebel und Kälte der Nacht noch wie eine Decke über dem Grenzlager Idomeni im Norden Griechenlands liegen, kann man Babys durch die dünne Zelthaut aus Plastik weinen hören. Vicky Markolefa von Ärzte ohne Grenzen sagt, dass mittlerweile die Hälfte aller Geflohenen hier an der Grenze zu Mazedonien Frauen und Kinder seien.

Helfer haben in einem großen Zelt kleine Stühle und Tische aufgebaut, sie verteilen Buntstifte und Papier. Die Kinder malen Bäume, Häuser mit Schornsteinen, ein Segelschiff auf Wellen. Sie wuseln um die Tische, kreischen, lachen. Draußen spielen Jungen und Mädchen in Pfützen, im Sand oder mit Steinen.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen warnt nun vor einer „humanitären Krise“ in Griechenland. Jeden Tag verteilen Organisationen in Idomeni 30.000 Portionen Essen. Oft ist es ein Sandwich mit Käse und ein Ei.

10.000 Menschen zwischen Plastikmüll, Dreck und Zäunen

Doch das reiche nicht. Mehr Wasser, Zelte und Nahrung sind laut UNHCR notwendig. Bei der Frage, wie gefährlich die Krise an der Grenze zu Mazedonien für die Flüchtlinge ist, geht es sehr stark auch um die Kinder: Sie sind oft die Schwächsten unter den Schutzsuchenden.

Das Camp in Idomeni war nur als Transitlager geplant, mit Kapazitäten erst für 1200 Menschen, mittlerweile für 2500. Inzwischen harren 10.000 Menschen dort aus, warten zwischen Plastikmüll, Zäunen und Dreck.

Trotzdem kamen am Mittwoch Hunderte Geflohene in Idomeni an, zu Fuß zogen sie über die Straßen und Felder nahe der Grenze. Auf der Insel Lesbos landen täglich 1500 Menschen in Schlauchbooten aus der Türkei. „Noch ist die Unterbringung machbar“, sagt Boris Cheschirkow vom UNHCR unserer Redaktion. Aber gehe das so weiter, werde es eng. Viele fahren schnell auf Fähren weiter. Und in Athen schlafen Flüchtlinge in Parks oder in Bahnhofshallen. Sie erzählen in Idomeni, dass die Unterkünfte in den griechischen Metropolen überfüllt seien.

Dem Land entgleitet das Krisenmanagement

Wer durch Griechenland reist, sieht jeden Tag mehr, wie dem Land das Krisenmanagement entgleitet. Es gibt das überfüllte Camp in Idomeni, direkt am Grenzzaun. Und es gibt ein zweites Lager – 20 Kilometer weiter, auf einem alten Militärareal nahe dem Ort Polikastro. Viele Zelte stehen hier leer.

Es gibt Platz. Betreten dürften Journalisten das Gelände nicht, sagt der Soldat am Eingang. Aber er erzählt, dass hier Zelte für 8000 Menschen aufgebaut werden. Derzeit seien aber nicht mal 2000 Flüchtlinge hier.

Die Menschen wollen nicht vom Tor am Grenzzaun weichen

Griechenlands Behörden bauen Kapazitäten auf. Die Regierung fordert von der EU fast 500 Millionen Euro Hilfe. „Rund 100.000 Menschen“ seien bald zu versorgen. Und im fernen Berlin rät Kanzlerin Angela Merkel den Flüchtlingen an der mazedonisch-griechischen Grenze, Unterkünfte in Griechenland zu beziehen. „Es gibt Übernachtungsmöglichkeiten und Aufenthaltsmöglichkeiten auch in Griechenland. Die müssten auch von den Flüchtlingen genutzt werden.“ Nur funktioniert das nicht.

Die Menschen wollen nicht irgendwo in Griechenland unterkommen. Sie wollen so nah wie möglich an die Grenze, am besten direkt vor den Zaun und das Tor. Also verlassen sie Lager wie Polikastro auf eigene Faust. Doch wächst der Frust.

Die Flüchtlinge wollen nach Deutschland

„Wenn das hier Europa ist, dann: Fuck the EU!“, sagt Mohammed aus Syrien. Schon zehn Tage sitze er vor dem Grenztor fest. Er überlege, ob er mit Schmugglern illegal nach Mazedonien reisen solle. Oder in Richtung Albanien aufbrechen solle. Nur fehle ihm das Geld.

Es gäbe eine Alternative. Unterkunft, Essen, Kleidung inklusive und umsonst: das Verteilungsprogramm der EU. Mehr als 66.000 Flüchtlinge sollten eigentlich aus Griechenland in andere EU-Staaten aufgeteilt werden. Der Plan: Menschen beantragen Asyl, werden so lange in Athen versorgt und dann in einen EU-Staat verteilt, sobald der Antrag Erfolg hatte. Der Haken: Die Menschen dürfen sich ihr Land nicht aussuchen. Also lehnen viele ab.

„Wir brauchen hier jeden Helfer“

Denn sie wollen vor allem nach Deutschland, Schweden oder Belgien, weil dort Freunde oder Familie leben und sie sich willkommen fühlen. Manche hätten auch Angst, sagen Helfer im Camp, misstrauen den Behörden, wollen nicht weitere Monate in griechischen Unterkünften bleiben. Bisher sind nur 325 Menschen verteilt – auch weil die EU-Staaten bisher nur 1500 Plätze für Flüchtlinge bereitgestellt haben.

Und weil viele Geflohene gar nichts von diesem Plan wissen. Im Lager von Idomeni laufen nun Teams der Hilfsorganisationen durch das Getümmel und sprechen Familien oder allein fliehende Jugendliche an. „Wir beraten, werben, aber zwingen niemanden“, sagt Anestis Ischnopolos. Dann ergänzt er, dass derzeit leider niemand unterwegs sei. „Wir brauchen gerade jeden Helfer hier an der Essensausgabe.“