Berlin. Gesetze helfen, Lohnunterschiede zu verkleinern, ganz schließen werden sie die Lücke nicht. Die Entscheidung liegt auch bei den Frauen.

Schauen Sie sich einmal die Ehepaare in Ihrer Nachbarschaft an. Wie viele Frauen gibt es dort, die mehr verdienen als ihre Männer? Oder schauen Sie sich die Menschen in Ihrem Viertel an: Wie viele Männer arbeiten an der Kasse im Supermarkt, in der Kita oder in der Altenpflege? Ein kleiner Rundblick reicht: Man braucht keine Statistik, um ein Gefühl für die Lücke zu bekommen, die in Deutschland zwischen Frauen und Männern klafft, wenn es um Löhne und Gehälter geht. Nicht in jedem Einzelfall, aber im Durchschnitt aller berufstätigen Deutschen verdienen Frauen ein Fünftel weniger als Männer. Im europäischen Vergleich gibt es nur wenige Länder, in denen die Lohnlücke noch größer ist.

Der große Verdienstunterschied in Deutschland hat viele Gründe. Frauen arbeiten oft in schlechter bezahlten Branchen. Sie machen häufiger Familienpausen für Kinder und pflegebedürftige Angehörige. Sie arbeiten deshalb öfter in Teilzeit, steigen seltener in Führungspositionen auf und landen eher in prekären Arbeitsverhältnissen.

Souveräne Entscheidung für ein Lebensmodell

Der Reflex ist klar: Arme, benachteiligte Frauen! Gemeine Männerwelt! Doch das trifft die Sache nicht. Frauen und Männer müssen gleich bezahlt werden, wenn sie das Gleiche leisten. Das ist das eine. Das andere ist: Die wenigsten Frauen sind schutzlose Opfer der Verhältnisse oder ihrer Erziehung. Die meisten treffen mehrmals in ihrem Leben Entscheidungen, die in der Summe dazu führen, dass viele weniger verdienen, als sie verdienen könnten. Sie wählen zum Beispiel Berufe, bei denen sie wissen, dass sie weniger verdienen, dafür aber mehr Zeit für die Familie haben. Und zwar weil sie das so wollen, und nicht weil sie sich in ihr Schicksal fügen. Denn auch wenn es klingt, als sei das vorauseilender Gehorsam gegenüber einer Gesellschaft, in der Kinder und Karriere immer noch nicht unter einen Hut gehen – es ist bei manchen tatsächlich eine souveräne Entscheidung für ein Lebensmodell, das weniger Geld in Kauf nimmt und dafür mehr Zeit für Familie ermöglicht.

Doch es gibt auch die anderen. Sie machen Abitur, studieren, starten im Job, finden einen Mann, wollen Kinder und glauben fest an alle Vereinbarkeitsversprechen. Und sehen auf einmal: Es funktioniert nicht. Weil der Arbeitgeber nicht mitspielt. Weil ein Kind Eltern braucht und keine doppelten Vollzeitarbeiter. Noch immer sind es die Frauen, die sich in diesen Lebenslagen für Teilzeit, für Rückzug und damit für Lohnverlust entscheiden. Spätestens beim zweiten Kind ist es dann gar keine Frage mehr: Der Kindsvater hat mittlerweile drei weitere Lohnsteigerungen hinter sich, und es würde sich kaum rechnen, wenn er jetzt auf einmal in die Rolle des Hausmanns wechseln würde.

Lohnlücke ist nicht in Stein gemeißelt

Was heißt das nun aber für die deutsche Lohnlücke? Ist sie in Stein gemeißelt? Nein. Die Regierung kann Druck ausüben, Ausbeutung und vorsätzliche Diskriminierung bekämpfen. Sie kann Bewegung ins Tarifgefüge bringen und für höhere Gehälter in typischen Frauenberufen werben. Die Aufwertung der Altenpfleger durch eine gemeinsame Ausbildung mit den Krankenpflegern ist ein solcher Schritt. Im Sozialbereich ist er besonders nötig: Hier verdienen Frauen im Schnitt 25 Prozent weniger als Männer – die Lohnlücke ist noch drei Prozentpunkte größer als im Schnitt aller Branchen.

Auch das geplante Gesetz zur Förderung der Entgeltgleichheit, mit Auskunftspflichten und Transparenzvorschriften für Unternehmen, ist einen Versuch wert: Gehaltsverhandlungen können damit leichter werden – doch es bleibt ein zahnloser Tiger, wenn die Frauen es nicht nutzen. Seien wir ehrlich: Um die Lohnlücke vollständig zu schließen, müsste die Regierung bis ins Kleinste in die Personalpolitik der Unternehmen hineinregieren, die Berufsbiografien von Frauen umschreiben und die Rollendynamik der Paare zielgerichtet steuern. Am Ende kämen dabei gleiche Löhne bis auf den letzten Cent heraus – aber auch ein bevormundender Staat.