Brüssel. Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten das Frühjahrszeugnis ausgestellt – geradezu im Geheimen. Die Ergebnisse gefallen nicht allen.

An Aufmerksamkeit des Publikums für die jüngsten Länder-Zeugnisse ist der EU-Kommission derzeit nicht gelegen. Aus der angekündigten „Veröffentlichung“ am Freitag wurde eine Art geheimdienstlicher Hinterlegung für Eingeweihte – zu einem Zeitpunkt, da für viele schon das Wochenende angebrochen war.

Standardforderungen gab es in den Geheimpapieren etwa für die Deutschen: „Spielraum für eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen“, „anhaltend hoher Leistungsbilanzüberschuss“, „weiterer Raum für Lohnwachstum“, „restriktive Regulierung der freiberuflichen Dienstleistungen“. Auch die Ermahnung Italiens wegen „hoher Staatsverschuldung“ und „schwacher Wettbewerbsfähigkeit“ ist für sich genommen nicht überraschend. Brisant werden die Befunde vor dem Horizont einer bedrohlichen Großwetterlage.

Portugal ist Newcomer auf dem Sorgenradar

Offiziell handelt es sich bei den sogenannten Länderberichten um „die Kommissionsanalyse der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, denen sich die Mitgliedstaaten gegenübersehen“. So Valdis Dombrovskis, in der Brüsseler EU-Zentrale zuständig für Ökonomie. Die Übung ist Teil des „europäischen Semesters“, einer Abfolge von Einreichungen der Mitgliedstaaten, Kontrollen und Testaten, mit der sichergestellt werden soll, dass keiner für die anderen zum Problemfall wird.

Der Newcomer auf dem Sorgenradar ist Portugal, nach den Worten eines Insiders „das verletzlichste Land“. Noch im Herbst schienen die Portugiesen auf gutem Weg, nach ihrem Hilfs- und Reformprogramm finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Doch Zweifel an der wackeligen neuen Linksregierung haben die Stimmung kippen lassen. Die Staatsverschuldung verharrt oberhalb der Wirtschaftsleistung, der Haushaltsentwurf stieß bei den Brüsseler Prüfern auf Vorbehalte. Die Risikoprämien für Kredite an den portugiesischen Staat kletterten zwischenzeitlich in die kritische Zone.

Dunkle Konjunkturwolken über Spanien

„Es ist klar, dass die Märkte auf die Unsicherheit bezüglich der Haushaltsentwicklung negativ reagiert haben“, meint Klaus Regling, Chef des Rettungsfonds ESM. Um gegenzusteuern, müssten die Regierungsparteien ihre Wahlversprechen brechen. Das Brüsseler Zeugnis beklagt „Risiken durch hohe Haushaltsungleichgewichte und Schwankungsanfälligkeit der Finanzmärkte“. Übersetzungshilfe eines EU-Zuständigen: „Die stehen unter spezieller Beobachtung.“

Auch über dem großen Nachbarn brauen sich dunkle Wolken zusammen. Dabei galt Spanien neben Irland als Musterland, wo zwar die Arbeitslosigkeit hoch blieb, aber die Konjunktur wieder in Gang kam. Die immer noch nicht abgeschlossene Regierungsbildung hat Zweifel gesät.

Sorgenkind Nummer eins bleibt jedoch Griechenland. Derzeit prüfen die Experten der „vier Institutionen“ (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds, ESM), ob die Griechen auf dem vereinbarten Reformkurs sind. Alexis Tsipras und seine Regierung tun sich vor allem schwer mit der Reform des Rentensystems und Sanierung der Bank-Bilanzen von faulen Krediten. „Da tut sich nix“, seufzt ein Insider, der mit dem Stand der Verhandlungen vertraut ist. Regling hofft auf Vollzugsmeldung vor Ostern. Denn „früher oder später gibt es ein Geldproblem“. Alte Kredite müssen getilgt werden.

Formal haben die Krisen nichts miteinander zu tun, politisch wohl: „Merkel und Tsipras werden das im Zusammenhang sehen“, mutmaßt ein EU-Offizieller. Soll heißen: Grexit kommt wieder – diesmal im Schlauchboot.