Berlin. Frank-Jürgen Weise, Chef des Flüchtlingsamts BAMF, sieht Deutschland in schwieriger Lage. Doch er hat Hoffnung für den Arbeitsmarkt.

Kaum jemand trägt in der Flüchtlingskrise eine größere Last: Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), muss den Stau bei den Asylverfahren auflösen und die anerkannten Bewerber in den Arbeitsmarkt integrieren. Beim Besuch in unserer Berliner Zentralredaktion erläutert er seinen Plan.

„Wenn es einer schafft, dann Frank-Jürgen Weise“: Beflügelt Sie das Bild des Wundermanns, das die Politik von Ihnen zeichnet?

Frank-Jürgen Weise: Der Satz geht ja weiter: „… und wenn der Weise es nicht schafft, ist er auch daran schuld.“ Die Doppelaufgabe, die BA und das BAMF zu führen, nimmt mich gewaltig in Anspruch. Die Anspannung sieht man mir auch an. Aber ich habe ein sicheres Gefühl, dass wir das gut hinkriegen. Wir sind auf dem richtigen Weg.

Können Sie das belegen?

Weise: Wir haben ja einen guten Plan. Schauen Sie: In den vergangenen drei Jahren sind circa 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die Schutzquote liegt grob geschätzt etwas über 50 Prozent, das heißt rund 660.000 zu uns Geflüchtete haben Bleiberecht. Das ist eine Größenordnung, mit der wir umgehen können. Es ist mein Ziel, die 370.000 Asylanträge, die gestellt und noch nicht bearbeitet sind, in diesem Jahr abzuarbeiten. Außerdem muss es uns gelingen, die 300.000 bis 400.000 Menschen zu erfassen, die im Land sind, ohne dass sie erfasst sind oder einen Antrag stellen konnten. Drittens wollen wir sämtliche Anträge der neu Ankommenden bearbeiten. Wir haben uns vorgenommen, weit über eine Million Verfahren in diesem Jahr zum Abschluss zu bringen.

Sind Ihre Mitarbeiter inzwischen bereit, auch am Wochenende zu arbeiten?

Weise: 90 Prozent meiner Mitarbeiter machen freiwillig Überstunden, wenn das notwendig ist. Wer etwas anderes behauptet, redet Unsinn. In der Vergangenheit war es aber leider oft so: Wir haben in den Außenstellen des Bundesamtes arbeitsbereit dagesessen, und es kamen kaum Flüchtlinge aus den Aufnahmeeinrichtungen an. Und an anderen Tagen wurden sie spät am Tag gebracht. Dieses Ungeordnete und Unabgestimmte ist unerträglich und für Deutschland beschämend. Aber das bekommen wir jetzt alles in den Griff. Wir füllen auf mit guten Leuten und werden spätestens im zweiten Quartal das Personal im BAMF verdreifacht haben.

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex geht davon aus, dass im laufenden Jahr mindestens so viele Flüchtlinge kommen wie 2015. Teilen Sie diese Erwartung?

Weise: Nein. Ich weiß auch nicht, woher Frontex das wissen will. Wir haben die Einflussfaktoren doch gar nicht in der Hand: Wie verhält sich die Türkei? Wie verhält sich Österreich? Ich kann nur sagen, dass wir zusätzlich zum Rückstand 500 000 neue Asylanträge abschließend bearbeiten können. Wenn mehr Flüchtlinge kommen, müssen wir leider mit einem Rückstand in das Bundestagswahljahr gehen.

Bayern erwägt, die Grenzen im Alleingang zu sichern …

Weise: Ich bin ja Soldat. Es ist für mich überhaupt nicht denkbar, unsere Grenzen zu schließen. Eine geschlossene Grenze müsste immer überwacht werden. Dafür fehlt uns schon das Personal. Wir sind in einer schwierigen Lage, aber die Schließung von Grenzen ist keine Lösung.

Sind Auflagen sinnvoll, wo Asylbewerber zu wohnen haben?

Weise: Flüchtlinge wollen dorthin, wo ihresgleichen sind: Pakistaner ins Rhein-Main-Gebiet, Afghanen nach Hamburg, Syrer nach Berlin. In den Ballungszentren ist allerdings der Wohnraum knapp, und die Mieten sind hoch. Schnell entstehen Gettos. Ich befürworte daher eine befristete Residenzpflicht von drei Monaten. In dieser ersten Zeit sollten Flüchtlinge in Landkreisen um die Zentren herum untergebracht werden. Danach dürfen sie arbeiten, und dann sollte auch die Residenzpflicht aufgehoben werden.

Wie lässt sich das organisieren?

Weise: Über den Flüchtlingsausweis. Die Bundesländer könnten in eigener Verantwortung festlegen, dass ein Asylbewerber seine Hilfsleistungen nur in einer bestimmten Stadt oder in einem bestimmten Landkreis bekommt.

Kann man Flüchtlinge zwingen, in Regionen zu leben, in denen sich fremdenfeindliche Übergriffe häufen?

Weise: Es wäre falsch, sich einschüchtern zu lassen. Die Staatsmacht muss fremdenfeindlichen Gewalttätern klar die Grenzen aufzeigen. Und die Politik hat die Aufgabe, dem Gefühl der gesellschaftlichen Überforderung etwas entgegenzusetzen, das viele Bürger haben. Es darf nicht sein, dass sich Menschen in Deutschland aufhalten, von denen wir nichts wissen. Das schafft Verunsicherung. Wir müssen alle Flüchtlinge erfassen und den Eindruck erwecken, dass der Zustrom steuerbar ist.

Sind Sie zuversichtlich, dass Menschen aus Syrien und dem Irak den deutschen Arbeitsmarkt beflügeln?

Weise: Das Potenzial ist nicht schlecht. Aber wir dürfen ihre Qualifikation nicht mit unseren deutschen Maßstäben messen. Das größte Hindernis ist die Sprache, genauer gesagt: das Schreiben, das spätestens in der Berufsschule zu einem kritischen Faktor wird. Daher bin ich dafür, die duale Berufsausbildung mit Sonderprogrammen für Flüchtlinge anzureichern.

Wie wirkt sich der Mindestlohn von 8,50 Euro auf die Integration aus?

Weise: Ich halte es für richtig, Flüchtlingen den Mindestlohn zu zahlen. Andersfalls würden wir eine Konkurrenz zwischen deutschen Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen schaffen. Firmen haben ja die Möglichkeit, Lohnkostenzuschüsse und andere Unterstützung zu beantragen.

Müssen wir uns auf steigende Arbeitslosenzahlen einstellen?

Weise: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat die Prognose abgegeben, dass die Arbeitslosigkeit durch die Flüchtlinge im Jahresschnitt um 70.000 steigen wird. Dagegen kämpfen wir an. Ich setze mir zum Ziel, trotz der Flüchtlingskrise die Arbeitslosigkeit weiter zu senken oder zumindest nicht wieder steigen zu lassen. Dazu müssen wir die Effizienz von BA und BAMF weiter steigern – und bei den Unternehmen dafür werben, sich für Flüchtlinge zu öffnen. Voraussetzung für eine günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt ist natürlich, dass die Konjunktur gut bleibt.

Was ist, wenn in diesem Jahr doch wieder eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommt?

Weise: Dann haben wir insgesamt eine ziemlich schwierige Lage.