Kairo/Berlin . Wenig Hoffnung für eine innenpolitische Öffnung im Iran: Vor der Parlamentswahl hat der religiöse Führer Kandidaten ausgeschlossen.

Nach dem historischen Atom-Deal mit dem Iran im Juli schäumten die Hoffnungen im Westen über: Der Mullah-Staat bewege sich doch, tönten die Optimisten zwischen Washington, Brüssel und Berlin. Das Land sei jetzt sogar zu innenpolitischen Reformen fähig. Die Chance sei groß, dass eine Friedens-Dividende im Syrienkonflikt herausspringe, hieß es. Als Bannerträger des neuen Kurses galten Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammad Dschawad Zarif. Beide waren maßgeblich an den Nuklear-Verhandlungen beteiligt.

Die Wirklichkeit sieht jedoch wesentlich nüchterner aus. Rohani und Zarif sind zwar in der eigenen Bevölkerung populär – gerade weil sie für die Öffnung zum Westen stehen. Aber bei der Wahl zum neuen Parlament und zum politisch wichtigen Expertenrat an diesem Freitag haben die reformorientierten Kräfte das Nachsehen. Die konservativen Kreise um den obersten religiösen Führer Ali Khamenei, der bei allen bedeutenden Entscheidungen im Land das letzte Wort hat, haben kräftig die Strippen gezogen.

60 Prozent der Bewerber wurden disqualifiziert

Die 290-köpfige Volksvertretung wird für vier Jahre gewählt. Doch bereits vor dem Wahltag disqualifizierte der sogenannte Wächterrat etwa 60 Prozent der rund 12.000 Parlamentsbewerber. Bis auf 30 strich die von Ali Khamenei handverlesene Runde aus zwölf betagten Klerikern und Juristen sämtliche Reformer aus den Listen. Erst eine öffentliche Intervention von Präsident Rohani und die Angst vor neuen Unruhen wie im Jahr 2009 erzwang ein gewisses Einlenken der Hardliner. In letzter Minute wurden noch 1500 Kandidaten nachnominierten. Führende Reformer und selbst die zweite Reihe des moderaten Lagers befinden sich nach wie vor nicht unter den am Ende zugelassenen 6200 Parlamentsbewerbern.

Wütend attackierte Altpräsident Ali Akbar Rafsandschani diese Manipulationen: „Wer hat Sie qualifiziert? Wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, über die Kandidaten zu urteilen? Wer hat Sie autorisiert, sämtliche öffentlichen Foren zu besetzen, die Freitagspredigten, die Radio- und Fernsehstationen?“, polterte der 81-Jährige in bisher beispielloser Schärfe. Eine Kritik, die erstmals auch eindeutig auf Revolutionsführer Ali Khamenei persönlich gemünzt war.

Der Enkel des Staatsgründers wurde disqualifiziert

Zusätzlich aufgebracht hat Rafsandschani auch die Kandidatenkür für den Expertenrat. Dieses Gremium hat das Recht, den nächsten religiösen Führer zu wählen oder – zumindest theoretisch – den jetzigen Ajatollah Ali Khamenei abzusetzen. Diese Klerikerkammer fristet normalerweise ein Schattendasein, könnte jedoch in der kommenden Amtszeit zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik den neuen Revolutionsführer bestimmen. Denn Ali Khamenei ist 76 Jahre alt und hat Prostatakrebs.

Doch auch im Falle der Wahl zum Expertenrat sind die Reformer schwer im Nachteil. Der allmächtige Wächterrat hat 639 der 800 Bewerber disqualifiziert. Darunter befand sich auch Hassan Khomeini, der reformoffene Enkel des graubärtigen Staatsgründers Ajatollah Ruhollah Khomeini, der 1979 die Islamische Revolution ausgerufen hatte. Der Enkel habe angeblich unzureichende theologische Kenntnisse, kritisierten die Konservativen. Die Zahl der zugelassenen 161 Kandidaten, darunter auch Präsident Rohani und Altpräsident Rafsandschani, ist nun so gering, dass das Votum in einer Reihe von Wahlkreisen zur Farce wird, weil es keine Konkurrenten mehr gibt.

Aus Euphorie könnte wieder einmal Enttäuschung werden

Für die Handlungsfähigkeit der Regierung des moderaten Präsidenten Rohani und seines Außenministers Zarif hängt viel vom Ausgang der Wahlen ab. Beide haben mit dem erfolgreichen Atomprogramm ihr Land wieder international salonfähig gemacht und wollen nun im Inneren mit sozialen und kulturellen Reformen nachlegen. Rohani versuchte, den innenpolitischen Schaden zumindest zu begrenzen und einen resignierten Boykott der Bevölkerung zu verhindern. „Wenn wir nicht wählen, werden wir auf jeden Fall verlieren“, gab der beliebte Geistliche als Motto gegen die Hardliner aus. Er empfahl seinen Landsleuten, weniger bekannte Reformkandidaten zu unterstützen, die durch das enge Kontrollnetz des ultrakonservativen Machtkartells gerutscht sind. Die Gefahr ist hoch, dass aus Euphorie – wie bei den Massen-Demonstrationen der Opposition im Sommer 2009 – wieder einmal Enttäuschung wird.