Freiburg. Winfried Kretschmann ist der einzige Ministerpräsident der Grünen. Die Union in Baden-Württemberg fürchtet, er könnte es auch bleiben.

Als Winfried Kretschmann im März 2011 erster grüner Ministerpräsident der Republik wurde, nannte er den Wahlerfolg in Baden-Württemberg ein „Wunder“. Die CDU, die nach 58 Jahren aus der Regierung verjagt wurde, sprach von einem „Betriebsunfall“, einem Folgeschaden der Atomkatastrophe von Fukushima. Doch fünf Jahre später bahnt sich die nächste Sensation an: Die Grünen sind drauf und dran, bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 13. März stärkste Partei noch vor der CDU zu werden.

In der jüngsten Umfrage erklärten bereits 28 Prozent der Wähler, sie wollten den Grünen ihre Stimme geben – die CDU dagegen ist auf 31 Prozent abgestürzt, der Trend weist seit Monaten nach unten.

Ob Kretschmann im Amt bleiben kann, ist dennoch ungewiss, für die angepeilte Fortsetzung der grün-roten Regierung wird es kaum reichen. An ihm liegt es nicht: Bei einer Direktwahl würde der 67-Jährige seinen CDU-Herausforderer Guido Wolf haushoch besiegen – sogar unter CDU-Wählern steht der Grüne besser da. Was ist da los im Ländle?

Der Grüne steht hinter Merkel, CDU-Kandidat ist auf Distanz

Kretschmann sitzt in einem Mercedes-Kleinbus auf der Fahrt zum nächsten Wahlkampftermin in Karlsruhe, wo er gleich vor 800 Menschen sprechen wird, er überlegt nur kurz: „Ich vermute, die Menschen schätzen meine Besonnenheit und meine Abneigung gegen sterile Aufgeregtheiten.“ Dann schiebt er bedächtig hinterher: „Ich stehe für Konsens in der Krise.“

Tatsächlich steuert Kretschmann in der Flüchtlingskrise einen Kurs, der zu paradoxen Verhältnissen führt: Während sich der Grüne hinter die Politik der Kanzlerin stellt, geht sein CDU-Herausforderer Wolf vorsichtig auf Distanz zu Angela Merkel. So wird Kretschmann auch für jene CDU-Anhänger attraktiv, die Merkels Linie gut finden.

Kretschmann lobt auch mal die Kanzlerin

Wahlkampfauftritt in der Turnhalle im badischen Staufen: Neben Grünen-Anhängern ist viel bürgerliches, älteres Publikum gekommen, mehr als 700 Menschen insgesamt, die Stimmung ist gut. Schon zur Begrüßung gibt es viel Beifall für den Ministerpräsidenten, später zum Abschied klopfen ihm Anhänger auf die Schulter und rufen: „Machen Sie weiter.“

Ein paar Minuten lang preist Kretschmann mit ruhiger Stimme die Erfolge seiner Regierung, dann wird er beim Blick auf die Flüchtlingskrise energisch: „Krisen kann man nur Schritt für Schritt lösen, das ist die Politik unserer Bundeskanzlerin.“ Merkel sei eine erfahrene Krisenmanagerin, er unterstütze sie.

Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er später: „Die nationalen Grenzen zu schließen wäre der Rückwärtsgang für Europa“. Und: „Die Kanzlerin und ich haben eine gemeinsame Grundüberzeugung: Diese Krise kann und darf nur europäisch gelöst werden. Wir stehen in der Sache zusammen.“

CDU-Spitzenmann Guido Wolf hat es schwer

Das macht es schwer für CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf. Dem 54 Jahre alten Juristen sitzt die AfD im Nacken, sein CDU-Landesverband ist bei dem Thema gespalten in Kritiker und Anhänger Merkels. So positioniert sich der Oberschwabe irgendwo zwischen Merkel und ihrem schärfsten Kritiker Horst Seehofer – und verliert dabei an Profil. „Wir dürfen die europäischen Errungenschaften nicht preisgeben“, ruft er bei einer CDU-Veranstaltung in Freiburg.

Doch fordert er mit CDU-Vize Julia Klöckner auch schnell nationale Maßnahmen in der Krise, tagesaktuelle Flüchtlingskontingente etwa und Grenzzentren. „Wir brauchen verstärkte Signale zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen“, sagt Wolf.

Am CDU-Wahlkampfstand am Freiburger Münster weht ein eisiger Wind, kaum ein Wähler lässt sich blicken. Wolf mahnt, die Bürger würden ungeduldig. Vom jüngsten Umfrageeinbruch zeigt er sich unbeeindruckt, in der Landes-CDU aber sinkt die Stimmung. Wolfs „Beißhemmung“ sei ein Problem, heißt es. Wolfs eigentliches Problem ist es, dass die Flüchtlingskrise die Debatte über landespolitische Themen blockiert. Bei seinen Kundgebungen klagt er über „grüne Bevormundung“, die Schulreform oder die Verkehrspolitik, aber er findet gegen Kretschmanns Beliebtheit kein Mittel. 71 Prozent sind zufrieden mit ihrem Ministerpräsidenten, bundesweit ein Spitzenwert.

Kretschmann sieht sich in der Tradition von Erwin Teufel

Der Grüne hat aber auch alles getan, um die Bürger nicht vor den Kopf zu stoßen. Anfangs wollte Kretschmann die im Südwesten starke Autoindustrie mit der „Innovationspeitsche“ zur Entwicklung umweltfreundlicher Technologie zwingen, er plädierte für tendenziell weniger Autos. Heute lobt er die Autobauer als „Halsschlagader“ für den Wohlstand des Landes. So hat auch die Wirtschaft ihren Frieden mit ihm gemacht.

Kretschmann rief die Grünen zur neuen Wirtschaftspartei aus, jetzt gar zur „Baden-Württemberg-Partei“ – den Titel hatte die CDU für sich reklamiert. Er gibt den Landesvater, der den Bürgern zuhört, ohne große Versprechungen zu machen. Die Wahlkampagne („Grün wählen für Kretschmann“) ist ganz auf ihn zugeschnitten. Manche vergleichen den Spitzen-Grünen schon mit dem früheren CDU-Regenten Erwin Teufel. „Ich mache nicht alles anders als meine Vorgänger“, sagt er. „Erwin Teufel hat das Land gut geführt, das führe ich weiter.“

Der Juniorpartner SPD ist abgestürzt

Doch wie lange noch? Die SPD ist als Juniorpartner abgestürzt, für Rot-Grün wird es nicht reichen. Für Schwarz-Gelb auch nicht. Spekuliert wird über Schwarz-Grün und sogar schon über Grün-Schwarz mit der CDU als Juniorpartner, wenn sich der Umfragetrend fortsetzt. Wahrscheinlicher sind Dreierkoalitionen mit der FDP. Die Liberalen aber beschlossen am Sonntag, dass sie nicht mit Grünen und SPD regieren wollen, eher peilen sie ein Bündnis mit CDU und SPD an.

Kretschmann weiß, dass es knapp wird. Er blickt aus dem Autofenster, draußen ist es dunkel geworden: „Ich kämpfe um die Fortsetzung der grün-roten Koalition. Wenn der Wähler anders entscheidet, wird es schwieriger, dann muss man Diskussionen führen.“ Ausschließen, sagt er, solle man nichts.