Kopenhagen. In Dänemark beschlagnahmt die Polizei die Handys von Flüchtlingen, um deren Identität herauszufinden. Das ruft viel Kritik hervor.

Seit Oktober 2015hat die dänische Polizei in mindestens 55 Fällen die Mobiltelefone von minderjährigen Flüchtlingen beschlagnahmt. Die Polizei hat die Vorgänge der Zeitung „Politiken“ bestätigt, die zuerst darüber berichtet hatte. Die Behörden begründen die Beschlagnahmungen damit, dass mithilfe der Handys die Identität von alleinreisenden Minderjährigen geklärt werden könne, die ohne weitere Papiere nach Dänemark eingereist seien.

Die Polizei habe oft nur die Aussagen der asylsuchenden Kinder als Anhaltspunkt für deren Identität. Das reiche aber nicht aus. „So ist es unsere Aufgabe sicherzustellen, dass sie sind, wer sie sagen und von dort kommen, von wo sie es uns sagen“, sagt Richard Østerlund la Cour, Leiter des Nationalen Ausländerzentrums bei der Reichspolizei in Kopenhagen der Tageszeitung. Und bei der von ihm geschilderten Überprüfung könne eben eine Analyse der Mobiltelefone helfen. Doch diese Analyse habe in mehreren Fällen mehrere Wochen gedauert – zu lange wie Østerlund la Cour gegenüber der „Politiken“ zugeben musste. Vor allem in den vergangen drei Monaten des Jahres 2015 sei die Polizei durch die hohe Zahl ankommender Asylbewerber so ausgelastet gewesen, dass schnelle Bearbeitungszeiten nicht einzuhalten gewesen wären.

Auch „Schmuckgesetz“ ist umstritten

Sowohl die Beschlagnahmungen wie auch die lange Dauer der Untersuchungen sorgen nun für eine breite politische Diskussion in dem skandinavischen Staat. „Sie (die Kinder) sind ohnehin ganz alleine, und wenn man ihnen das Handy wegnimmt, nimmt man ihnen jede Möglichkeit, Kontakt mit der Familie zu halten, die vielleicht Tausende Kilometer weit weg ist“, sagte Pernille Skipper, die justizpolitische Sprecherin der rot-grünen Partei „Einheitsliste“ nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa.

Die aktuellen Polizeimaßnahmen fallen zudem in eine Zeit, in der nicht nur im Inland Kritik an Dänemarks Asylpolitik geäußert wird. Zuletzt hatte das sogenannte „Schmuckgesetz“ Aufsehen erregt. Zu Beginn des Jahres hatte das dänische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das vorsieht, dass Flüchtlinge nur noch Geld, Schmuck und Wertgegenstände im Wert von bis zu 10.000 Kronen (knapp 1500 Euro) behalten dürfen. Werte, die darüber liegen würden von der Polizei beschlagnahmt und mit ihnen würde der Aufenthalt der Flüchtlinge zeitweise finanziert. Ausgenommen von dieser Regelung sind lediglich Eheringe. Auf eine Nachfrage unserer Redaktion bei der Reichspolizei heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme, dass die Regelungen in den Polizeidirektionen zwar umgesetzt würden, es aber noch keine Beschlagnahmungen nach dem Gesetz gegeben habe.

Ohne Handy droht der soziale Ausschluss

Doch vor allem rütteln die Polizeimaßnahmen an dem gesellschaftlichen Konsens über die dänische Fortschrittsgesellschaft. Vor rund zwei Jahren hatte es in Skandinavien bereits einen Diskurs an Stammtischen und in den Medien darüber gegeben, ob etwa Obdachlose ein Smartphone besitzen dürfen. Weitestgehend war zu hören: in einer Gesellschaft, die in großem Maße digitalisiert ist, wie es in Dänemark der Fall ist, können auch Arme und Wohnungslose kaum auf ein Smartphone verzichten. Weite Teile der Verwaltungsarbeit in Städten wie Kopenhagen sind bereits vollständig digitalisiert worden: Termine beim Bürgeramt, die Steuererklärung und Briefwechsel mit der Krankenversicherung werden fast ausschließlich über das Internet abgewickelt. Dazu strebt Dänemark eine Abschaffung des Bargeldes ab. An die Stelle von Scheinen und Münzen treten dann auch Smartphones, die eine Bezahlfunktion eingebaut haben. Wer in diesem Szenario ohne Handy unterwegs ist, droht den gesellschaftlichen Anschluss zu verlieren – oder erst gar nicht den Weg in die Gesellschaft zu finden. Auch und gerade Flüchtlingskindern ohne Mobiltelefon könnte dieses Schicksal drohen.

Damit dies aber nicht passiert, gelobt die Polizei Besserung. Es gebe „mehr Personal und wir haben zusätzliche Ausrüstung angefordert“, so dass die Überprüfung der Mobiltelefone schneller ablaufen solle, so Richard Østerlund la Cour von der Reichspolizei. Diese Absichtserklärung scheint einigen Politikern allerdings nicht auszureichen. Der frühere Außenminister Martin Lidegaard von der linksliberalen „Radikale Venstre“ sowie Abgeordnete Jacob Mark von der Sozialistischen Volkspartei planen eine offizielle Anfrage an den Justizminister Søren Pind und Integrationsminister Inger Støjberg (beide von der liberalen „Venstre“). Damit werden die Vorgänge dann auch Thema im Parlament werden. (mit dpa)