Paris. Manuel Valls Vorstoß gegen Merkels Flüchtlingspolitik widerspricht auch der Linie seines Präsidenten Hollande. Dahinter steckt Kalkül.

Der Pariser Regierungschef Manuel Valls ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Mit seiner markigen Ansage, Frankreich werde auf keinen Fall mehr als 30.000 Flüchtlinge aufnehmen und seiner unverhohlenen Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, hat er wieder einmal für beträchtlichen Wirbel gesorgt. In Deutschland natürlich, aber auch in Frankreich.

In der gegenwärtigen Situation muss sich Valls Münchner Stellungnahme wie ein kapitaler Kolbenfresser des deutsch-französischen EU-Motors ausnehmen. Doch es gibt gute Gründe, die forschen Worte des Regierungschefs zu relativieren. Ein französischer Premierminister nämlich hat in der Außen- und Verteidigungspolitik seines Landes nichts zu melden. Beide Politikfelder sind die „domaines reservés“, die reservierten Domänen des Präsidenten. Mit anderen Worten: Es ist François Hollande, der bei der außen- und verteidigungspolitischen Kursvorgabe nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort hat.

Hollande von Valls Worten „sehr irritiert“

Die Frage ist also, ob Valls sich mit Hollande abgesprochen hatte, also die Position des Präsidenten vertrat. Gezielte Indiskretionen, die am Sonntag von engen Mitarbeitern Hollandes im Elysee-Palast gestreut wurden, deuten auf das Gegenteil hin. Demnach ist der Präsident von dem Auftritt seines Regierungschefs völlig überrascht worden und sei „sehr irritiert“.

Entscheidend wird sein, welche Linie Hollande am Donnerstag auf dem EU-Gipfel vertritt. Bisher hat er der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingspolitik die Stange gehalten, obwohl ihm das daheim mit Sicherheit keine Punkte einbringt. Aber Hollande und Merkel eint die Überzeugung, dass das Asylrecht für Menschen in Not unantastbar ist und es daher auch keine Obergrenzen für Flüchtlinge geben kann. Schon deswegen ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Präsident die Kanzlerin nun auf einmal im Regen stehen lässt statt mit ihr gemeinsam auf eine tragfähige europäische Lösung hinzuarbeiten.

Aus diplomatischen Kreisen verlautet zudem, Paris stehe voll und ganz hinter den Berliner Bemühungen, mit der Türkei möglichst rasch Maßnahmen zur besseren Regulierung des Flüchtlingsandrangs auszuhandeln. Angeblich könnte es sogar noch vor dem EU-Gipfel zu einem kurzfristig anberaumten Treffen zwischen Hollande, Merkel und dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoğlu kommen.

Freunde Deutschlands im Kabinett

Dass unter dem Eiffelturm nicht die Sabotage, sondern das Schmieren der deutsch-französischen Achse angesagt scheint, belegt nicht zuletzt eine Personalie. Letzte Woche hat Hollande sein Regierungskabinett umgebildet und den Vorgänger von Valls als Premierminister, Jean-Marc Ayrault, zum neuen Außenminister ernannt. Ayrault aber ist nicht nur ein bekennender Europäer sondern auch ein großer Freund Deutschlands. In Paris wurde seine Berufung einhellig als Signal gewertet für den Willen Hollandes, der Europapolitik und der Abstimmung mit Berlin in den letzten 14 Monaten seiner Präsidentschaft besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Warum aber versuchte dann ausgerechnet der zwei Tage zuvor im Amt bestätigte Premier Valls, diese Abstimmung zu torpedieren? Um sich von Hollande abzugrenzen und sich selber als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch zu bringen, meint die Pariser Gerüchteküche. Ambitionen auf den Elysée-Palast werden Valls schon des Längeren nachgesagt und vor diesem Hintergrund würde eine Attacke gegen die in Frankreich unpopuläre Flüchtlingspolitik Merkels tatsächlich Sinn machen. Allerdings nur, wenn Hollande darauf verzichtet, sich um ein zweites Mandat zu bewerben. Vor diesem Hintergrund dürfte es kaum ein Zufall sein, dass Valls Vorpreschen zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo gleich mehrere innenpolitische Beobachter bei Hollande Anzeichen von Amtsmüdigkeit ausgemacht haben wollen.