München. Europa schaut auf das syrische Aleppo: Geht die Bombardierung weiter, werden noch viel mehr Menschen fliehen. Wer hilft ihnen wo?

Der Flüchtlingsstrom aus Aleppo reißt nicht ab. Trotz der am Freitagmorgen in München erzielten Einigung über eine Waffenpause für Syrien fliehen weiter Tausende Menschen Richtung Norden. An der Grenze zur Türkei kampieren sie zu Zehntausenden in Zelten oder im Freien. Die Regierung in Ankara ließ bislang den Schlagbaum unten – doch künftig könnten sie wieder passieren.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitagabend, die Türkei sei zur Aufnahme der an der Grenze gestrandeten syrischen Flüchtlinge bereit. Die Türkei werde die Flüchtlinge aufnehmen wie Millionen andere in den vergangenen Jahren auch. Er schränkte ein: Ehe sie in die Türkei umgesiedelt würden, müssten allerdings neue Lager gebaut werden.

Derzeit dürfen nur Verwundete passieren. Türkische Hilfsorganisationen versorgen die Notleidenden vor der Grenze mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. In EU-Kreisen wird deshalb eine Frage immer dringlicher diskutiert: Wer rettet die Flüchtlinge von Aleppo? In Brüssel heißt es, dass die Lösung dieses Problems der erste Testfall des EU-Türkei-Abkommens werden könnte. Ende November hatte sich die EU mit Ankara auf einen Aktionsplan zur Eindämmung der Flüchtlingskrise geeinigt. Kernpunkte: Die Türkei kontrolliert ihre Grenzen besser. Im Gegenzug sagte die EU drei Milliarden Euro zu.

Flüchtlingskatastrophe an Grenze droht

Bislang hat die Türkei 2,5 Millionen Menschen allein aus Syrien aufgenommen. Seit aber die russische Luftwaffe vor wenigen Tagen ihre Angriffe auf die Stellungen der syrischen Opposition massiv verstärkt und die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad den Belagerungsring um Aleppo enger ziehen, droht eine Flüchtlingskatastrophe an der türkischen Grenze.

Es sei Heuchelei, von Ankara zu fordern, die Grenzen für die Flüchtlinge aus Aleppo zu öffnen und die Türkei dann allein zu lassen, hört man nun in Brüssel, in Berlin und auch am Rande der am Freitag gestarteten Münchner Sicherheitskonferenz. Die EU müsse dem Land Flüchtlinge abnehmen und sie europaweit verteilen. Die Türkei dürfe nicht überlastet werden. Am Freitagabend kam dann die Ankündigung von Außenminister Cavusoglu, deren Auswirkungen noch nicht klar sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits bei einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu Anfang der Woche Signale in diese Richtung ausgesandt. Eine freiwillige Koalition von EU-Staaten werde der Türkei Flüchtlingskontingente abnehmen, kündigte Merkel an. Die Linderung der Flüchtlingskrise ist eines der großen Themen beim nächsten Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel.

Röttgen appelliert an EU-Staaten

Auch in Deutschland stößt dieser Vorschlag auf Resonanz. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), rief die EU-Staaten dazu auf, Flüchtlinge aus Aleppo aufzunehmen. „Ihnen Schutz zu gewähren, ist ein humanitäres und rechtliches Gebot, das in gemeinsamer türkisch-europäischer Solidarität erfüllt werden sollte“, sagte Röttgen unserer Redaktion. „Diese Kriegsflüchtlinge sollen also in der Türkei und in ganz Europa Aufnahme finden.“ Das Argument mancher EU-Staaten, dass es sich bei vielen der Flüchtlinge um sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge handele, greife nicht.

Ohne eine politische Lösung zwischen der EU und der Türkei in der Aleppo-Frage droht wahrscheinlich eine noch viel größere Flüchtlingswelle. Der türkische EU-Minister Volkan Bozkir warnte: Sollte die Metropole „komplett ausgebombt“ werden, könne die Zahl der Flüchtlinge auf 1,5 Millionen steigen. Bislang hatte die Türkei von einer Million Flüchtlingen gesprochen, sollte die Offensive der syrischen Regierungstruppen gegen die Rebellen in Aleppo fortgesetzt werden.

Feuerpause mit Assad als Fragezeichen

Ob der Ansturm an Migranten gestoppt oder zumindest deutlich vermindert wird, hängt von der Umsetzung der am Freitag in München getroffenen Vereinbarung ab. Die internationale Syrienkonferenz beschloss eine Feuerpause binnen einer Woche. Ausgenommen sind die Terrormiliz IS und der Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front. Amerika und Russland einigten sich auf die Bildung einer Arbeitsgruppe für die Umsetzung der Waffenruhe. Ausgeklammert wurde in München das politische Schicksal von Assad.

Russland hält an dem syrischen Präsidenten fest. Die Amerikaner fordern mittlerweile nicht mehr das sofortige Ausscheiden des Regierungschefs, wenngleich sie dies langfristig anstreben. Assad selbst kündigte eine Rückeroberung des gesamten Landes an. Die Armee werde dies versuchen, ohne zu zögern, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.