Berlin/Warschau. Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo reist zum ersten Mal zu Kanzlerin Merkel nach Berlin. Es gibt erhebliches Konfliktpotenzial.

Seit fast drei Monaten ist Beata Szydlo polnische Ministerpräsidentin – und jetzt hat sich offenbar endlich eine Lücke im Terminkalender aufgetan, um den Nachbarn im Westen zu besuchen.

Normalerweise reisen frisch gewählte Regierungschefs aus Deutschland oder Polen in den ersten Tagen nach ihrer Wahl in die jeweils andere Hauptstadt. Doch die nationalkonservative Beata Szydlo hat sich Zeit bis zu diesem Freitag gelassen. Das ist schon ein Indiz: Es steht nicht gut um die deutsch-polnischen Beziehungen. In Berlin wird unter anderem kritisch gesehen, dass sie Ungarns rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Victor Orbán oder Großbritanniens EU-kritischen Premier David Cameron bereits besucht hat.

Szydlo hat alle EU-Fahnen aus dem Saal entfernen lassen

Die hektische Politik der neuen nationalkonservativen Regierung wirkt wie eine Kopie der Orbán-Gesetze: Im Verfassungsgericht sitzen nun der Partei angenehme Richter. Und die Partei entscheidet jetzt auch, wer die Spitzenposten in staatlichen Medien bekommt. Die EU-Kommission startete im Januar eine Rechtsstaatsprüfung gegen Polen.

Szydlo hat alle EU-Fahnen aus dem Saal entfernen lassen, in dem sie ihre Pressekonferenzen abhält. Hinter ihrem Rednerpult prangten „nur die schönsten weiß-roten Nationalflaggen“, wie es die 52-Jährige ausdrückte. Sie sei Europäerin, aber vor allen Dingen stolze Polin. Gegenüber Brüssel betont sie: „Wir werden keine Politik auf Knien führen.“ Und sie denkt gar nicht daran, Deutschland in der Flüchtlingskrise zu helfen, also etwa Migranten aufzunehmen. „Man kann den Export selbst geschaffener Probleme anderer Länder nicht Solidarität nennen“, sagt sie und meint damit die Grenzöffnung Merkels am 4. September 2015. Mehr Nationalstaat, weniger Europa, das ist Szydlos Linie. Dabei ist Merkel auf eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise angewiesen, auch um ihre Kritiker in den eigenen Reihen zumindest ein bisschen zu besänftigen.

Jaroslaw Kaczynski ist viel härter drauf als Beata Szydlo

Szydlo ist eine Scharfmacherin. Doch hinter ihr steht einer, der noch viel härter ist: Jaroslaw Kaczynski, Ex-Premier und Chef der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit). Er hatte Wahlen verloren, schob Szydlo vor, sie wirkt im Vergleich zu ihm mild und mütterlich. Kaczynski sagt über muslimische Flüchtlinge Sätze wie: „Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien, alle Arten von Parasiten und Bakterien, die in den Körpern dieser Menschen harmlos sind, können hier gefährlich werden.“

Von der Bundesregierung ist natürlich keine Kritik zu hören vor dem ersten Besuch der nicht mehr ganz so neuen polnischen Regierungschefin. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte bloß: „Das ist die erste Gelegenheit zu einem wirklich intensiven und ausführlichen Meinungsaustausch. Darauf freut sich die Bundeskanzlerin.“ Doch ein leichter Tag wird das sicher nicht für Angela Merkel.

Szydlo und Merkel haben eine Parallele in ihrer Biografie

Trotz aller Unterschiede ist bei Szydlo und Merkel eine biografische Parallele sichtbar. Szydlo gilt als brave Schülerin des mächtigen PiS-Parteichefs. Sie ist „Kaczynskis Mädchen“, so wie Merkel einst als „Kohls Mädchen“ galt. Es ist allerdings fraglich, ob sich Szydlo jemals von Kaczynski emanzipieren wird, wie es Merkel in der CDU-Spendenaffäre vom abgewählten Kohl getan hat. Der PiS-Chef hält in Warschau alle Fäden in den Händen. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), hält Szydlo für eine „Premierministerin, die wie eine Marionette von Jaroslaw Kaczynski gelenkt wird“. Szydlo habe sich im Januar im EU-Parlament sachlich und gesprächsbereit gezeigt, sagte Lambsdorff dieser Zeitung. „Aber das heißt nichts, solange der Spieler im Hintergrund nicht seine antideutschen Gefühle unter Kontrolle kriegt und seine antieuropäische Politik ändert.“

Beide Regierungschefinnen stehen aktuell enorm unter Druck. Merkel befindet sich seit Monaten in der Flüchtlingskrise in der Defensive. Szydlo sieht sich mit Massenprotesten gegen die PiS-Politik konfrontiert. Viele Menschen fürchten um die mühsam erkämpfte Demokratie.

Es gibt viele Baustellen – zum Beispiel die Ostseepipeline

Auch abseits der Flüchtlingskrise gibt es viel zu besprechen zwischen Deutschen und Polen: aktuelle EU-Themen wie den möglichen Ausstieg der Briten (Stichwort Brexit), den Streit um die geplante deutsch-russische Ostseepipeline Nordstream II, den 25 Jahre alten Nachbarschaftsvertrag und die dauerhafte Stationierung von Nato-Streitkräften in Polen.

Wie es um die deutsch-polnische Freundschaft steht, kann man auch an den Worten von Frank-Walter Steinmeier (SPD) ablesen. Geht es um Polen, wird der sonst so nüchterne Außenminister poetisch. Er lobt die Beziehungen „zu unserem Nachbarn im Herzen Europas“ überschwänglich: „Sie sind ein Schatz, den wir hüten und bewahren wollen.“ Solche Sätze klingen ermutigend. Doch über einen Schatz, der nicht in Gefahr ist, braucht niemand zu wachen.