Berlin/Paris. Viele Länder in Europa haben längst Obergrenzen bei Barzahlungen. Doch in Deutschland wächst die Kritik an geplanten Einschränkungen.

Wenn Rainer Schulte frische Ware holt, dann setzt er sich mit seiner Frau ins Auto und fährt los. Sein Ziel: Autohändler in Mainz und Umgebung. Im Gepäck: ein Bündel 500-Euro-Scheine. Sonst beule die Hosentasche so stark aus, sagt er.

Schulte handelt mit Gebrauchtwagen, er hat sich auf VW Golf spezialisiert. Seinen Nachschub bekommt er von Autohäusern, die einen Golf in Zahlung genommen haben, aber ein anderes Fabrikat verkaufen. Dann rufen sie ihn an und Schulte holt den Wagen ab. Anschauen, verhandeln, bezahlen – schon fahren er oder seine Frau mit dem gekauften Auto zurück. „Das Geschäft läuft zu 100 Prozent bar ab“, sagt Schulte, der im Verwaltungsrat des Bundesverbands freier Kfz-Händler sitzt. Rund 7000 Euro kostet der typische gebrauchte Golf, den er verkauft. Die Hälfte seiner Kunden legt die Summe bar auf den Tisch.

Franzosen wollen Anonymisierung aufheben

Damit könnte es bald vorbei sein. Die deutsche und die französische Regierung arbeiten an einer EU-weiten Höchstgrenze für Barzahlungen. 5000 Euro sollen es in Deutschland werden. Frankreich hat schon eine solche Grenze, sie wurde erst vor wenigen Monaten auf 1000 Euro gesenkt. So wollen beide Länder Geldwäsche bekämpfen und die Finanzierung von Terrorismus erschweren. Eine Studie im Auftrag des Bundesfinanzministeriums zeigt, dass in Deutschland pro Jahr 100 Milliarden Schwarzgeld gewaschen wird. Und die Franzosen arbeiten spätestens seit den Terroranschlägen in Paris daran, die Anonymität im Zahlungsverkehr möglichst aufzuheben. Die Attentäter hatten bei der Vorbereitung darauf geachtet, keine Geldspuren zu hinterlassen. Sie hatten anonyme und aufladbarer Kreditkarten benutzt, weshalb auch dieses Zahlungsmittel noch strenger reglementiert werden soll.

Schäuble versichert, das Bargeld nicht abschaffen zu wollen

„Wir bemühen uns um einheitliche Obergrenzen für Bargeldtransaktionen in Europa“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag in Paris, nachdem der Wirtschafts- und Finanzrat beider Länder getagt hatte. Es sei „überhaupt nicht die Rede davon, eine Obergrenze einzuführen, wie viel Bargeld jemand besitzen darf“, versicherte Schäuble. Zahlungen jenseits einer Obergrenze sollten weiter möglich sein, aber nur, wenn die Teilnehmer der Transaktion bekannt seien.

Daran, wie das konkret funktionieren und vor allem wie die Grenze überwacht werden soll, arbeiten Schäubles Experten noch. Es könnte Bußgeld geben, wenn die Namen der Beteiligten nicht notiert werden. Womöglich könnte auch die ganze Zahlung nachträglich für nichtig erklärt werden.

„Das wäre ein massiver Eingriff in das Wirtschaftsleben“, empört sich Autohändler Schulte. Nicht nur Gebrauchtwagenhändler wären davon betroffen. Juweliere, Möbelhäuser und Luxusgeschäfte jeder Art müssten sich umstellen. Auch im SB-Großhandel, in dem Geschäftsleute und Großverbraucher einkaufen, wird oft in großen Summen bar gezahlt. Laut Bundesbank werden 80 Prozent der Transaktionen an Verkaufsstellen in Deutschland in bar abgewickelt, das sind 53 Prozent des Umsatzes. Allerdings wird umso weniger bar gezahlt, je teurer es wird. Nur jede vierte Transaktion für mehr als 500 Euro wird noch mit Bargeld gezahlt. Trotzdem ist der Widerstand gegen die Pläne in Deutschland groß.

Banken kritisieren den Eingriff in die Autonomie der Bürger

Zwar gibt es schon Regeln gegen Geldwäsche, aber die greifen im Wesentlichen nur für Banken und Versicherungen und auch das nur für Summen jenseits der 10.000 Euro. Jetzt aber geht es ums ganz alltägliche Geschäft. Entsprechend alarmiert sind Daten- und Verbraucherschützer. Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier kritisiert in der „FAZ“, dass die persönlichen Freiheiten der Bürger beim Bezahlen eingeschränkt werden.

„Bei einer Begrenzung der Verwendung von Bargeld im Alltag würde man in die Autonomie der Bürger eingreifen, was ihre Finanzangelegenheiten betrifft“, sagt auch Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Die Banken orientierten sich am Bedarf der Kunden und es sei nun einmal so, dass die Deutschen sehr an ihrem Bargeld hingen. „Mehr als die Hälfte aller Waren und Dienstleistungen wird heute bar bezahlt, obwohl den Bürgern bereits seit Jahrzehnten auch bargeldlose Bezahlverfahren angeboten werden“, sagt Kemmer. Auch viele kleine Unternehmen bevorzugten für die Abwicklung ihrer Geschäfte weiter Scheine und Münzen.

„Eine Bargeld-Grenze beschneidet nicht nur Kunden in ihren Zahlungsmöglichkeiten, sondern schränkt die unternehmerische Freiheit für Geschäftsleute ein“, findet deshalb auch Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Eine Reihe von Branchen würden so unter Generalverdacht gestellt. „Hinzu kommt der steigende Kontrollaufwand“, kritisiert Wansleben. Er räumt aber ein, dass Terrorismus und Geldwäsche bekämpft werden müsse. „Hilfreich ist allenfalls eine europaweit einheitliche Bargeld-Grenze.“

Auf die wird es wohl hinauslaufen, das machte der französische Finanzminister Michel Sapin gestern in Paris nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen Schäuble deutlich. Eine europäische Lösung sei wichtig, sagte Sapin, aber einzelne Länder müssten auch darüber hinausgehen können. Frankreich jedenfalls wird seine Grenze von 1000 Euro nicht wieder anheben. Das Limit gilt seit Herbst des vergangenen Jahres. Nur Touristen dürfen noch Summen bis 10.000 Euro in bar begleichen, zuvor lag die Grenze bei 15.000 Euro.

Die Franzosen zahlen auch kleine Beträge häufig mit Kreditkarte

Die Regeln sind sogar noch schärfer und gehen übers Bargeld hinaus: Franzosen, die ihre Euros in eine andere Währung wechseln, können das ohne Ausweis nur noch bis 1000 Euro tun. Und wer in einem Monat mehr als 10.000 Euro von seinem Konto abhebt, kann sicher sein, dass die Bank dies seit Jahresbeginn an die nationale Geldwäsche-Behörde meldet. Ganz generell müssen Banken jede Geldbewegung signalisieren, die 10.000 Euro übersteigt. Das betrifft Schecks, Pre-Paid-Karten und der Goldkauf.

Das Erstaunliche daran: Die Franzosen, die politische Fragen ja durchaus hitzig diskutieren können, nehmen die Einschränkungen hin. Sie haben traditionell nur geringe Summen Bargeld im Portemonnaie und zahlen selbst eine Schachtel Zigaretten häufig mit Kreditkarte. Ganz abgesehen davon gilt es als unfein, beim Einkauf mit Bündeln von Geldscheinen zu wedeln: Wer seine Rechnung in der Pariser Edelboutique bar begleicht, darf gewiss sein, dass ihn die Verkäuferin misstrauisch mustert. Im besten Fall wird der Kunde für einen neureichen Touristen gehalten, im schlimmsten für einen Ganoven.

Das war schon vor den beiden Attentatsserien in Paris und den neuen Einschränkungen so. Faktisch liegt die Bargeldgrenze im Alltag deshalb nicht bei 1000, sondern eher bei 100 Euro. Wer sie überschreitet, macht sich verdächtig.