Berlin. Häufig bekommt die Polizei derzeit Tipps: Ein Terrorist tarne sich als Flüchtling. Oft fehlen Beweise, doch die Lage ist angespannt.

Oft bekommt die Polizei in diesen Tagen Fotos zugeschickt. Meist sind es Ausschnitte von Internetseiten. Sie zeigen einen Kämpfer, mal mit Kalaschnikow, mal mit der Fahne des selbsternannten „Islamischen Staates“. Oder mit einem abgeschlagenen Kopf unter dem Arm. Es sind brutale Bilder aus Syrien oder Irak. Der Tippgeber schickt dann weitere Fotos, die angeblich dieselbe Person zeigen – diesmal friedlich, in einer Asylunterkunft in Deutschland. Tarnt sich ein IS-Terrorist als Geflohener?

In den allermeisten Fällen entlarven sich die Fotos schnell als Falschmeldung, nachdem Beamte vom Geheimdienst oder dem Bundeskriminalamt (BKA) die Bilder geprüft haben. Mal wurden auf dem zweiten Blick doch zwei völlig verschiedene Personen identifiziert. Mal sind die Fotos manipuliert, weil der Tippgeber einen anderen denunzieren oder einfach nur mit angeblichem Wissen prahlen wollte.

BKA zählt 447 „Gefährder“ in Deutschland

Doch jedem Hinweis muss erst einmal nachgegangen werden. Das bindet Beamte, die derzeit im Kampf gegen den Terror ohnehin am Limit sind. Das BKA stellt derzeit weitere Mitarbeiter ein, doch bis die Neuen ausgebildet oder eingearbeitet sind, dauert es. Dabei ist der Druck hoch, denn die Anzahl der „Gefährder“ hat stark zugenommen – Menschen, die laut Behörde fähig sind, eine erhebliche Straftat wie etwa Anschläge zu verüben. Derzeit zählt das BKA 447 in Deutschland. Fehler und Versäumnisse der Ermittler können fatale Folgen haben. Die Anschläge in Frankreich führten das vor Augen.

Allein das BKA erhielt seit Sommer 244 Hinweise auf Kriminelle, die sich unter die Flüchtlinge gemischt haben sollen. Vor allem seit den Anschlägen von Paris im November hat die Anzahl der Tipps zugenommen. Damals wurde bekannt, dass sich mindestens zwei der Attentäter unter die Geflohenen geschmuggelt hatten. Getarnt als Geflohener reisten sie über die Türkei nach Griechenland und dann weiter Richtung Frankreich. Ihre falschen Pässe fanden Ermittler am Stadion in Paris. Sie wurden zuvor an mehreren Stellen auf der sogenannten Balkanroute registriert.

250 Hinweise, 19 Ermittlungen

„Die Anzahl der Hinweise auf mögliche Anschlagsversuche hat sich im vergangenen Jahr deutlich erhöht“, sagt BKA-Präsident Holger Münch. Die Sicherheitslage in Deutschland sei angespannt. „Wir können Anschläge nicht ausschließen.“ Derzeit laufen im Einsatz gegen islamistischen Terrorismus insgesamt 644 Verfahren gegen 944 Tatverdächtige – darunter radikale Salafisten, Rückkehrer aus den Kriegsgebieten oder Dschihadisten, die noch in Syrien kämpfen. Der Vorwurf häufig: Mitglied in einer Terrorgruppe im Ausland.

Doch von den knapp 250 Hinweisen im Zuge des Flüchtlingsandrangs führten lediglich 19 zu Ermittlungen. Manche Verfahren wurden wieder eingestellt. In zwei Fällen geht es um Verstöße gegen das Vereinsverbot des IS in Deutschland – wenn sich eine Person etwa mit einer IS-Fahne zeigt. Und nicht alle Tipps, die in diesen Tagen auftauchen, betreffen Terroristen. In vielen Fällen sollen sich auch Anhänger regierungsnaher Milizen in Syrien oder frühere Soldaten von Diktator Baschar al-Assad als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland retten – der Vorwurf dann: Sie haben Kriegsverbrechen begangen. Denn der Assad-Regierung wird Folter gegen Regimegegner, aber auch der Einsatz von Fassbomben und Chemiewaffen vorgeworfen.

Obwohl die Gesetze im Kampf gegen Dschihadisten deutlich verschärft wurden, bleibt die Strafverfolgung für die Behörden mühsam. Oft haben Ermittler wenige Belege, was Syrer oder Iraker, aber auch ein deutscher Syrien-Ausreisender im Kriegsgebiet genau treiben und wem sie sich dort angeschlossen haben. Spuren der Islamisten aus Deutschland verschwimmen häufig schon nach der Reise in die Türkei. Eine Zusammenarbeit mit der Polizei in den Krisenregionen ist schwer bis unmöglich. Und so hat das BKA nur bei 70 von fast 800 Kämpfern, die nach Syrien oder Irak gereist sind, Erkenntnisse, dass sich die Person auch an Ausbildung an Waffen oder an Kämpfen beteiligt. Gerade sie gelten als die größten „Gefährder“.