Berlin. Henri Tiphagne setzt sich für die Armen in Indien ein. Dafür wird er mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International geehrt.

Der indische Rechtsanwalt und Aktivist Henri Tiphagne erhält den mit 10.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis von Amnesty International in Deutschland. Er kämpfe seit Jahrzehnten unermüdlich und mutig gegen Folter und Diskriminierung auf dem Subkontinent, erklärte Amnesty am Montag in Berlin.

„Wir setzen uns für die Ärmsten der Armen ein“, sagte Tiphagne der Nachrichtenagentur dpa. Die allermeisten davon seien entweder Muslime, Angehörige von Stammesvölkern oder Dalits. Diese stehen ganz am unteren Ende der Kastenhierarchie in dem überwiegend hinduistischen Land – und wurden früher als Unberührbare beschimpft. Der Zeitpunkt der Verleihung hätte kaum besser gewählt sein können, denn derzeit diskutiert Indien heftig über die Diskriminierung von Dalits.

People’s Watch informiert über Menschenrechte

Der 60-jährige Tiphagne wurde in Tamil Nadu im Süden Indiens geboren und von einer französischen Ärztin adoptiert. Als Anwalt baute er die Organisation People’s Watch auf, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Betroffene vor Gericht vertritt und Kinder in Schulen über ihre Rechte informiert.

Statt wie geplant Arzt zu werden, studierte Tiphagne Jura, um den Benachteiligten und Unterdrückten in Indien vor Gericht zu helfen. Seit vier Jahrzehnten engagiert er sich für die Menschen, die in der größten Demokratie der Welt ihre Rechte kaum wahrnehmen können.

Denn obwohl in Indiens Verfassung von 1950 steht, dass niemand aufgrund seiner Kaste diskriminiert werden darf, sieht die Realität oft anders aus. Das machte gerade der Selbstmord eines Doktoranden an der Universität von Hyderabad deutlich. Dalit-Studenten beklagen, sie würden von Aktivitäten ausgeschlossen, müssten separat essen und wohnen. Seit mehr als einer Woche demonstrieren Menschen überall in Indien gegen die Herabsetzungen. „Leider schaut das Land erst nach seinem Tod hin“, beklagt Tiphagne.

Kritik an Preisträger

Die Autorin Palanimuthu Sivakami aus Tamil Nadu sieht es kritisch, dass ein Nicht-Dalit wie Tiphagne sich für Dalits starkmacht – und dafür dann einen Preis kassiert. „Niemand kann unser Essen an unser statt zu sich nehmen“, sagt sie. Tiphagne verhalte sich wie viele andere Leiter von Nichtregierungsorganisationen, dünkelhaft, sagt sie.

Tiphagne stimmt zu, dass die Anführer von Protestbewegungen aus den betroffenen Gruppen selbst kommen müssen. Er aber helfe Betroffenen und mache sich für die Vernetzung von Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen stark. „Ich leite den Kampf nicht. Ich spreche darüber, etwa bei den Vereinten Nationen“, sagt Tiphagne. „Jemand, der sich der Menschenrechtsverletzungen bewusst ist, muss das einfach tun.“

Amnesty unterstützt indische Menschenrechtsbewegung

Tiphagne saß mehrfach im Gefängnis. Denn während der Anwalt und seine Organisation People's Watch sich für die Rechte anderer einsetzen, werden sie von Behörden drangsaliert und in ihrer Arbeit behindert, erläutert Amnesty. „Der Spielraum für die Arbeit von Aktivisten wird derzeit geringer“, sagte Tiphagne. Jüngst ließ die Regierung dreimal die Konten seiner Organisation für 180 Tage einfrieren, so dass sie ihre Arbeit einstellen musste.

„Auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen in Indien sind davon betroffen. Mit dem Preis will Amnesty daher auch ein starkes Zeichen der Unterstützung an die indische Menschenrechtsbewegung senden", sagte Selmin Çaliskan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

Die Verleihung des 8. Menschenrechtspreis findet am 25. April im Maxim-Gorki-Theater in Berlin statt. (dpa)