Berlin. Deutschland liefert Waffen an Peschmerga, die damit den IS bekämpfen. Jetzt sind Bundeswehr-Gewehre auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht.

Die Pistole P1 in der Originalverpackung kostet 1200 US-Dollar. Gewehre vom Typ G3 gibt es für 1450 bis 1800 US-Dollar. Es sind Waffen aus Deutschland, die Gravierung „Bw“ steht für Bundeswehr, „HK“ für Heckler und Koch, ein deutsches Rüstungsunternehmen. Verkauft werden die Waffen laut einem NDR-Bericht auf einem Markt in den Bergen bei Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak. Seit dem Sommer 2014 liefert Deutschland den Peschmerga Waffen für den Kampf gegen den „Islamischer Staat“ (IS). Jetzt ist etwas eingetreten, das die Bundesregierung unbedingt verhindern wollte: Deutsche Waffen auf dem Schwarzmarkt im Nahen Osten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie kommen die deutschen Waffen auf den Schwarzmarkt?

Die Waffen wurden möglicherweise von Peschmerga verkauft, die seit Monaten keinen Sold erhalten haben, heißt es in dem NDR-Bericht. Anhaltspunkt dafür ist ein kurdischer Flüchtling, der bis vor kurzem gegen den IS gekämpft hat. Dann hat er seine Kalaschnikow für 1800 US-Dollar verkauft und damit seine Flucht nach Deutschland finanziert. Der Flüchtling erzählt in dem Fernsehbericht, sein Cousin habe ein deutsches G36 für 4000 US-Dollar verkauft.

Was tut die Bundesregierung jetzt?

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Freitag: „Da stehen ernste Vorwürfe und Anschuldigungen im Raum.“ Allerdings gehen sowohl das Auswärtige Amt als auch das Verteidigungsministerium von „Einzelfällen“ aus. Berlin bestellte den Vertreter der kurdischen Autonomieregierung ein. „Die Bundesregierung hat unmissverständlich klargemacht, dass wir eine schnelle und umfassende Aufklärung der Vorwürfe erwarten, und dass derartige Vorfälle, falls sie sich bestätigen, unverzüglich unterbunden werden müssen“, hieß es nach dem Gespräch aus dem Außenministerium. Die kurdische Seite habe konkrete Schritte zugesagt, um die Vorwürfe zu klären und gegebenenfalls Missstände abzustellen.

Was sagen Experten, was sagt die Opposition?

Der Berliner Politikberater Martin Weiss warnt vor Verallgemeinerungen. „Dies mag vereinzelt vorkommen, aber nicht flächendeckend“, sagte Weiss. Richtig sei, dass die kurdische Autonomieregierung den Lohn an die Peschmerga nicht regelmäßig auszahle. Das liege auch daran, dass die Zentralregierung in Bagdad ihren Verpflichtungen, der Autonomen Region Kurdistan finanziell unter die Arme zu greifen, seit 2014 nicht mehr nachkomme. Für Agniezka Brugger, die Verteidigungsexpertin der Grünen, haben sich die Befürchtungen ihrer Partei bestätigt: „Die Menschen im Irak brauchen nicht noch mehr Waffen, sondern umfassende politische und wirtschaftliche Unterstützung.“ Jan van Aken (Linke) sagte: „Die Waffenlieferungen sind eigentlich eine Subvention für die Peschmerga, damit sie ihre Reise nach Europa finanzieren können.“

Wo sind die Peschmerga angesiedelt?

Die Peschmerga sind die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Sie verfügen über rund 90.000 Mitglieder. Diese bewachen nicht nur die Grenzen der Autonomieregion. Sie kämpfen auch jenseits der eigenen Grenzen auf irakischem Gebiet gegen den IS. Die Frontlinie ist rund 1100 Kilometer lang. Der Landstreifen erstreckt sich vom Sindschargebirge im Norden bis zum Gebiet südlich von Bagdad. Fachleute schätzen die Kampfkraft der Peschmerga. „Das sind die Bodentruppen des Westens. Sie sind militärisch wesentlich effizienter als die irakische Armee“, sagt der Politikberater Weiss.

Warum gibt es im Nordirak eine Autonomieregierung?

Die Autonome Region Kurdistan ist die einzige autonome Region des Irak. Sie hat eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament mit Sitz in der Hauptstadt Erbil. 1970 wurde im Norden die Kurdische Autonome Region gegründet und 2005 in Autonome Region Kurdistan umbenannt. Laut einer Vereinbarung mit der irakischen Zentralregierung stehen der Autonomieregierung 17 Prozent des gesamten Staatshaushalts zu.

Warum unterstützt Deutschland die Peschmerga?

Die kurdischen Kämpfer sollen mit Hilfe der deutschen Waffen die brutale Terrormiliz IS zurückschlagen. Zudem werden sie von mehreren europäischen Armee ausgebildet: 106 deutsche Soldaten sind aktuell in Erbil stationiert. Die Bundeswehr hat seit dem Sommer 2014 mehr als 6000 Kämpfer ausgebildet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lobte Ende 2015: „Ein Viertel des Territoriums, das der IS noch vor einem Jahr besetzt hielt, ist inzwischen zurückerobert.“ Kritiker sagen: Die Peschmerga machen die Drecksarbeit für den Westen, weil die Demokratien keine Bodentruppen schicken wollen. Bisher fliegen Nationen wie die USA und Frankreich Luftangriffe gegen den IS.

Was hat Deutschland bisher an die Kurden geliefert?

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bisher 1800 Tonnen Material an die Peschmerga geliefert. Darunter fallen 8000 Pistolen und 20.000 Sturmgewehre, 8000 vom Typ G36 und 12.000 vom Vorgängermodell Typ G3. Hinzu kommen deutlich mehr als eine Millionen Schuss Munition, 60 Panzerabwehrwaffen vom Typ Milan, mehr als 100 Fahrzeuge wie Dingos, Krankenwagen und Unimogs und weiteres militärisches Material wie etwa Zelte oder Gasmasken. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte am Freitag: „Bei dieser großen Zahl von Waffen in diesem unübersichtlichen Gebiet“ könne niemand eine vollständige Kontrolle garantieren. Die nächste Lieferung wird wahrscheinlich im März bei den Kurden eintreffen.

Gibt es eine Kontrollinstanz?

Für die Lieferungen wird ein relativ simpel gehaltener Vertrag zwischen dem Verteidigungsministerium und der kurdischen Regierung in Erbil geschlossen – eine sogenannte Endverbleibserklärung. Damit verpflichten sich die Kurden unter anderem dazu, das Völkerrecht zu achten die gelieferten Waffen nur im Kampf gegen den IS einzusetzen. In der Endverbleibserklärung sind die gelieferten Güter sowie die Stückzahl konkret aufgelistet.

Was wird den Peschmerga noch vorgeworfen?

Amnesty International wirft den Peschmerga vor, einen Rachefeldzug gegen Araber auf den ehemaligen Gebieten des IS zu führen. Kurden sollen Araber vertrieben und ihre Häuser zerstört haben. Das Außenministerium bat den in Berlin ansässigen Vertreter der kurdischen Regionalregierung um „schnelle und umfassende Aufklärung“. Dieser habe bereits für die nächsten Tage „konkrete Schritte“ zugesagt, hieß es im Auswärtigen Amt.

Könnte die Nato im Kampf gegen den IS eingesetzt werden?

Derzeit prüfen die Militärexperten der Nato die Möglichkeit einer Beteiligung am Kampf gegen den IS. Der Vorschlag geht zurück auf eine Nachfrage der Amerikaner, der US-geführten Koalition gegen die Islamisten Awacs-Flugzeuge zur Verfügung zu stellen. Die 16 Spezialmaschinen der Nato haben ihren Stützpunkt in Geilenkirchen bei Aachen. Die Bundeswehr stellt rund ein Drittel der Besatzungsmitglieder. Die Überwachungs-Maschinen könnten die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition auf Stellungen der Dschihadisten in Syrien und im Irak koordinieren. Der US-Vorstoß kam auf einer Sitzung der Nato-Außenminister im Dezember. Unter den Ministern habe Skepsis geherrscht – auch beim deutschen Chef-Diplomat Frank-Walter Steinmeier, sagte ein Außenamtssprecher am Freitag. Die Militärexperten machen dem Nato-Rat in den nächsten Tagen oder Wochen einen Vorschlag. Bei der Tagung der Nato-Verteidigungsminister am 10. und 11. Februar könnte bereits eine Entscheidung fallen.