London. Ein britischer Richter erklärt Kreml-Chef Putin zum Auftraggeber eines Mordes. Ein Befund, der auch politisch von großer Brisanz ist.

Derart deutliche Worte hatte man nicht erwartet. Der russische Präsident Wladimir Putin wird von einem britischen Richter in direkten Zusammenhang mit der Ermordung des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko gebracht. „Die Operation zur Tötung Litwinenkos“, erklärte Richter Robert Owen, der eine Untersuchung in den Fall leitete, „wurde wahrscheinlich von Herrn Patruschew (dem damaligen Chef des Geheimdienstes FSB) und auch von Präsident Putin gebilligt.“ Der brisante Befund dürfte die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen weiter verschlechtern.

Der Fall Litwinenko beschäftigt die britische Justiz schon seit neun Jahren. Im November 2006 wurde der Exil-Russe in London durch die Verabreichung des radioaktiven Poloniums 210 vergiftet. Drei Wochen dauert es, bis sich das Gift durch seinen Körper fraß und Litwinenko einen qualvollen Tod fand.

Litwinenko drohte Putin noch vom Totenbett

Noch auf dem Totenbett hatte er Wladimir Putin für den Mord verantwortlich gemacht: „Sie mögen einen Mann zum Schweigen gebracht haben, aber der Aufschrei des Protests in der ganzen Welt, Herr Putin, wird in Ihren Ohren für den Rest Ihres Lebens nachklingen.“

Litwinenko war ein ehemaliger Oberstleutnant des russischen Geheimdienstes FSB. Er überwarf sich mit dem damaligen FSB-Chef Putin, als er sich 1998 über interne Korruptionsfälle beschwerte. Nachdem er in Moskau in einer Aufsehen erregenden Pressekonferenz enthüllte, dass er beauftragt worden sei, den Oligarchen Boris Beresowski zu ermorden, war der Krieg zwischen ihm und seinem Arbeitgeber eröffnet.

In der Folge versuchte die russische Regierung zwei Mal vergeblich, ihn gerichtlich zu verurteilen. Schließlich flüchtete Litwinenko im Jahr 2000 nach Großbritannien, wo er politisches Asyl beantragte und Anfang Oktober 2006 Jahres eingebürgert wurde.

„Die Bastarde haben mich doch noch gekriegt“

Litwinenko war stolz auf seinen neuen Pass. Er bewunderte die britische Gesellschaft, weil sie so anders war als jene, die er verlassen hatte. Hier waren die Freiheitsrechte garantiert. Hier herrschte keine Korruption. Und ein britischer Bürger brauchte keine Angst zu haben, von staatlichen Sicherheitskräften drangsaliert zu werden. Litwinenko fühlte sich ungefährdet genug, um auf Bodyguards zu verzichten. Aber dann haben ihn doch noch „die Bastarde gekriegt“. Das waren Litwinenkos letzten Worte, bevor er das Bewusstsein verlor und am 23. November 2006 starb.

In seinen letzten Jahren hatte Litwinenko seinen Kampf gegen das Putin-Regime aus dem Exil weitergeführt. In einem 2001 erschienenen Buch beschuldigte er den FSB, die Terroranschläge auf Moskauer Appartementblocks vom Herbst 1999 selbst inszeniert zu haben, damit sie wenig später Putin als Vorwand für den Beginn des Krieges in Tschetschenien dienen konnten. Er hatte in der Folge weitere Anschuldigungen gegen den FSB und gegen Putin erhoben – unter anderem, dass der russische Geheimdienst unliebsame Dissidenten per Auftragsmord aus dem Wege zu schaffen versuche. Genau dieses Schicksal hat ihn schließlich selbst ereilt.

Das Gift lauerte in der Teekanne

Richter Owen ließ keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass Litwinenkos Vergiftung staatlich sanktioniert war. Die Täter, die er benennt, sind Andrei Lugowoi, ein früherer Kollege vom FSB, und Dmitri Kowtun. Die beiden Russen trafen Litwinenko am 1. November 2006 im „Millennium-Hotel“ zum Tee. In der Teekanne fanden sich später Spuren von Polonium 210.

Lugowoi war tags zuvor von Moskau nach London eingeflogen. An Bord des Flugzeuges, das er benutzte, wurden Polonium-Spuren gefunden. Zusammen mit russischen Freunden sah er sich am Abend des 1. November ein Fußballspiel zwischen ZSKA Moskau und FC Arsenal an – auf ihren Sitzplätzen im Stadion entdeckte man ebenfalls Spuren der radioaktiven Substanz. Auch ein Zimmer im „Parkes Hotel“, in dem sich Lugowoi bei einem früheren London-Besuch am 16. Oktober aufhielt, testete positiv für Polonium.

Verstrahlter Leichnam in einem Sarg aus Blei

Besonders die Wahl der Mordwaffe deutet auf staatliche Stellen hin. Das radioaktiven Polonium 210 ist eine ebenso exotische wie tückische Substanz, die extrem schwer herzustellen ist und von der ein Millionstel Gramm als tödliche Dosis ausreicht. Litwinenko wurde ein Vielfaches verabreicht. Es machte aus dem durchtrainierten Athleten, der täglich fünf Meilen joggte, innerhalb von Tagen ein todkrankes Wrack. Sein Leichnam war derart verstrahlt, dass sein Sarg mit Blei ausgeschlagen werden musste.

Die russische Reaktion auf Owens Bericht war, wie zu erwarten, abweisend. Die richterliche Untersuchung, hieß es aus Moskau, sei „voreingenommen“ und „politisch motiviert“ gewesen. Die Witwe des Ermordeten, Marina Litwinenko, dagegen forderte am Donnerstag in einem persönlichen Statement vor dem Gericht politische Konsequenzen.

Litwinenkos Witwe fordert Sanktionen gegen Täter

Es sei „undenkbar“, sagte sie, wenn der Premierminister David Cameron „nichts täte angesichts der vernichtenden Ergebnisse“, zu denen Owen gekommen sei. Sie verlangte die Ausweisung von FSB-Agenten und Mitarbeitern anderer russischer Geheimdienste sowie „gezielte wirtschaftliche Sanktionen und Reiseverbote gegen genannte Individuen“.

Soweit wird es wohl nicht kommen. Vor dem Unterhaus verurteilte Innenministerin Theresa May zwar scharf den „eklatanten und fundamentalen Bruch der Grundsätze internationalen Rechts“. Praktische Konsequenzen sind aber lediglich die Einbestellung des russischen Botschafters, die Ausstellung von internationalen Haftbefehlen für Lugowoi und Kowtun sowie das Einfrieren ihrer Vermögenswerte.

Den Grund für die Zurückhaltung verriet die Sprecherin des Premierministers. Unter Anspielung auf die gemeinsame Bekämpfung des Terrornetzwerks Islamischer Staat (IS) in Syrien sagte sie, dass der Premier durchaus die Bedeutung der Kooperation mit Russland für das nationale Interesse sähe.