Edmonton. Drei Monate nach seinem Wahlsieg reitet Kanadas Premier Justin Trudeau auf einer Welle der Zustimmung – trotz wachsender Probleme.

Das „Paradise Beach Resort“ auf der kleinen Karibikinsel Nevis ist der Traum eines jeden Urlaubers. Die luxuriöse Anlage besticht durch stilvoll eingerichtete Villen mit direktem Blick aufs Meer. Dazu kommen üppige tropische Gärten, feine Sandstrände mit Kokospalmen und private Pools für die ganze Familie. Es ist ein Ferienerlebnis, das sich nur wenige leisten können.

Justin Trudeau, der neue kanadische Premierminister, gehört zu diesen Menschen. Über Neujahr verbrachte der Politiker zehn entspannte Tage im Resort zusammen mit seiner Frau Sophie-Gregoire und den drei gemeinsamen Kindern. Die Trudeaus sonnten sich am privaten Strand, gingen Schnorcheln und Paddeln, besuchten lokale Bars und Restaurants und posierten dabei bereitwillig für Selfies.

Bislang hat dem Superstar noch nichts geschadet

Nicht jeder Politiker würde sich einen solchen Urlaub leisten, denn Luxusferien wie diese werden vom gemeinen Wahlvolk nicht immer goutiert. Schlecht kommt es normalerweise auch an, wenn sich ein Premierminister von den Steuerzahlern zwei Kindermädchen bezahlen lässt, obwohl er im Wahlkampf wohlhabende Familien aufgefordert hatte, die Betreuung ihrer Kinder selbst zu bestreiten. Genau das aber hat Justin Trudeau unlängst getan.

Doch Trudeau, dem Superstar, hat das bislang nicht geschadet. Die Kanadier gönnen dem jungen Premier seinen Luxusurlaub und auch die Tagesmütter: Drei Monate nach seinem überraschenden Wahlsieg reitet der charismatische Politiker auf einer Welle der Popularität, wie es sie in Kanada nur selten gibt. Seine Zustimmungswerte liegen stabil zwischen 50 und 60 Prozent, Karibikurlaub hin, Kindermädchen her. Eine Umfrage kürte Trudeau junior unlängst sogar zum beliebtesten kanadischen Premier der Neuzeit – noch vor seinem glamourösen Vater Pierre Elliott, der Kanada mit Unterbrechung zwischen 1968 und 1984 regiert hatte.

Trudeau streichelt die kollektive Seele der Kanadier

„Die Flitterwochen dauern an“, schieb die kanadische Kolumnistin Carol Goar unlängst in der Zeitung „Toronto Star“. Trudeau habe es mit seiner gewinnenden Art und seinem schier grenzenlosen Optimismus geschafft, die kollektive kanadische Seele zu streicheln. Viele Kanadier seien wieder stolz auf ihr Land, auf Trudeaus neue, ausgleichende Art: in der Flüchtlingspolitik etwa, beim Klimaschutz oder auch auf der internationalen Bühne.

Tatsächlich hat Trudeau in atemberaubendem Tempo mit der Politik seines konservativen Vorgängers Stephen Harper gebrochen und das Image Kanadas korrigiert. Trudeau öffnete das Land wieder für Flüchtlinge, spielte eine positive Rolle bei der Weltklimakonferenz in Paris, kündigte den Abzug von Kampflugzeugen aus dem Irak an, verlangte die systematische Aufklärung von Gewalttaten an Kanadas Ureinwohnern, erlaubte muslimischen Frauen bei der Einbürgerung wieder den Gesichtsschleier und senkte das Rentenalter von 67 auf 65 Jahre.

„Weil es das Jahr 2015 ist“

Zugleich leitete Trudeau eine neue Ära der Offenheit ein. In den ersten 100 Tagen gab er wahrscheinlich mehr Interviews und Pressekonferenzen als sein verschlossener Vorgänger in einer ganzen Wahlperiode. Er veröffentlichte wichtige Regierungsdokumente im Internet, begrüßte die ersten ankommenden Flüchtlinge zu nachtschlafener Zeit persönlich am Flughafen und besetzte seine Regierung zur Hälfte mit Frauen. Auch andere benachteiligte Gruppen wie Ureinwohner, Behinderte oder Zuwanderer wurden im Kabinett berücksichtigt. Auf die Frage warum, antwortete er mit einem Satz, der in Kanada Kultstatus erlangt hat: „Weil es das Jahr 2015 ist.“

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Auch an Glamour fehlt es nicht. Mit seiner Frau Sophie-Gregoire, einer gelernten Fernsehjournalistin, posierte Trudeau leger für die US-Modezeitschrift „Vogue“ – unter seinen Amtsvorgängern wäre so etwas undenkbar gewesen. Er weicht kaum einer Kamera und schon gar keinem Smartphone aus, was ihm bei manchen den Spitznamen „Selfie PM“ eingebracht hat. Er ist ein Kind der Popkultur, chattet in Internetforen und sucht stets den direkten Kontakt zu seinen Wählern, sei es in einer U-Bahn-Station oder beim Christopher-Street-Day, fast, als sei er noch immer im Wahlkampf. Unter Trudeau sei das eher langweilige und unscheinbare Kanada wieder cool geworden, urteilte unlängst sogar die „New York Times“.

Der Coolness-Faktor überstrahlt vieles

Bei so viel Schwung verzeihen die Kanadier ihrem Premier auch verpasste Stichtage oder gebrochene Wahlversprechen, bislang jedenfalls. Bei der Aufnahme von 25.000 Flüchtlingen etwa musste Trudeau seinen ehrgeizigen Zeitplan aufgeben. Die Kampfflugzeuge aus dem Irak sind noch immer im Einsatz und kommen wohl später nach Hause als gedacht. Zuletzt musste Trudeau auch eingestehen, dass die geplante Erhöhung des Spitzensteuersatzes anders als im Wahlkampf angekündigt alleine wohl nicht ausreicht, um die Steuern für Normalverdiener zu senken. Die Haushaltslöcher werden also eher größer ausfallen als kleiner.

Doch der Coolness-Faktor des jugendlichen Premiers überstrahlt bislang vieles – auch die wachsenden ökonomischen und finanziellen Probleme des Landes. Wegen der niedrigen Ölpreise war der kanadische Dollar zwischenzeitlich abgestürzt, die Wirtschaft wächst langsamer als gedacht und die Steuereinnahmen brechen weg. Der IWF hat deswegen seine ökonomische Prognose für Kanada zuletzt heruntergeschraubt.

An Justin Trudeau aber prallt das alles bislang ab. Das Nanos-Umfrageinstitut in Toronto hat ermittelt, dass zwei von drei Kanadiern davon überzeugt sind, das Land befinde sich auf dem richtigen Weg. „Justin Trudeau ist ein Politiker, wie wir ihn so noch nicht gesehen haben“, bilanzierte Institutschef Nik Nanos zuletzt in der BBC. „Trudeau nutzt seinen Star-Appeal gezielt, um seine politische Agenda durchzusetzen, und das zum Wohle Kanadas.“ Nicht ausgeschlossen, dass ihm der Luxusurlaub in der Karibik dabei am Ende sogar genutzt hat.