Taipeh. Die erste Präsidentin Taiwans heißt Tsai Ing-wen. Von Chinas Führung wird sie gefürchtet. Ihr großes Vorbild ist Kanzlerin Merkel.

Tsai Ing-wen ist die erste Präsidentin Taiwans. Die Vorsitzende der Fortschrittspartei (DPP) wird als „berechenbar“ und „versöhnlich“ gegenüber China beschrieben, setzt aber stärker auf die Eigenständigkeit der demokratischen Inselrepublik. Eines ihrer Vorbilder ist Kanzlerin Angela Merkel, die als Physikerin wie sie aus dem Universitätsbereich kommt: „Ihre Stärke ist nicht ihr Charisma in der Menge. Aber ihre Denkfähigkeit und Entschlossenheit sind es, die wir brauchen, um ein modernes Land zu regieren“, sagte Tsai in einem Fernsehinterview.

Mitarbeiter beschreiben „Asiens Angela Merkel“, wie es auf Plakaten hieß, als „gewissenhaft und intelligent“. Ihre Politik sei das Ergebnis vieler Diskussionen. Die frühere Juraprofessorin höre zu und bringe unterschiedliche Positionen zusammen. Trotz ihrer Ruhe könne die 59-Jährige auch ungeduldig werden: „Besonders wenn wir nicht in der Lage sind, die richtigen Antworten zu geben, obwohl wir zuständig sind“, verrät ein enger Mitarbeiter. „Dann ist sie verärgert.“

Obwohl ihre Partei die Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat, will Tsai Ing-wen den Status Quo Taiwans nicht ändern. „Wir wollen beständige und berechenbare Beziehungen mit China pflegen“, sagt ihr Generalsekretär Joseph Wu. „Keine Überraschungen“ lautet das Motto. Dennoch begegnen Chinas kommunistische Führer der künftigen Präsidentin mit großem Misstrauen, weil sie Taiwan als festen Teil Chinas ansehen und mit einer gewaltsamen Rückeroberung drohen.

Oppositionsführerin kennt sich mit Peking aus

Ursache ist auch die Weigerung Tsai Ing-wens, den „Konsens von 1992“ anzuerkennen. Diese mehrdeutige Formel diente bisher als Grundlage für die Kooperation. Danach sind sich Taipeh und Peking einig, dass es nur „ein China“ gibt, wobei sie unterschiedliche Vorstellungen akzeptieren, was darunter verstanden werden kann. „Tsai Ing-wen lehnt den Konsens von 1992 nicht öffentlich ab, unterstützt ihn aber auch nicht ausdrücklich“, sagt Lai I-Chung von Taiwan Thinktank.

Die Oppositionsführerin kenne sich im Umgang mit Peking bestens aus, da sie seit mehr als 20 Jahren an vorderster Front der Beziehungen gestanden und chinesische Führer persönlich erlebt habe. Von 2000 bis 2004 war Tsai Ing-wen die bislang jüngste Vorsitzende des Festlandrates (MAC). „Sie werden nicht viele finden, die so viel Erfahrung haben“, sagt Experte Lai I-Chung.

2012 nur knapp die Wahl verloren

Unter ihrer Führung hat die Fortschrittspartei auch Abschied genommen von unrealistischen, radikalen Positionen gegenüber China. Nach der verheerenden Wahlniederlage 2008, als die achtjährige Präsidentschaft des konfrontativen Unabhängigkeitsbefürworters Chen Shui-bian von der DPP zu Ende ging, hat Tsai die Partei wieder aufgebaut und geeint. „Mit ihr als Präsidentin wird es keine Überraschungen geben wie einst unter Chen Shui-bian“, sagt die Politikprofessorin Tao Yifeng von der National Taiwan University.

Nur knapp verlor Tsai Ing-wen 2012 die Wahl gegen den amtierenden Präsidenten Ma Ying-jeou, hat seither aber stetig aufgeholt. Als Manko wird immer wieder beschrieben, dass die ehemalige Professorin doziere und auf der Bühne eine schlechte Debattiererin ist. Tsai Ing-wen hat sich deswegen Rat vom Leiter eines Theater-Ensembles geholt, wie sie das Publikum ausblendet, Lampenfieber bekämpft und sich dabei treubleibt. Ihren persönlichen Stil beschreibt sie selbst als „zurückhaltend, aber mit tief empfundener Leidenschaft“. (dpa)