Berlin. Der Verkauf von Pfefferspray ist in die Höhe geschnellt. Viele Bürger scheinen der Polizei nicht mehr zu vertrauen – und rüsten auf.

„Ausverkauft.“ Dieses eine Wort sagt eigentlich schon alles. „Wir sind fast ausverkauft“, antwortet Katja Triebel auf die Frage, wie die Geschäfte denn so laufen. Ob Pfeffersprays, Elektroschocker oder Schreckschusspistolen: Triebel verkauft sie in ihrem Waffengeschäft in Berlin-Spandau so gut wie lange nicht. Die Walther P22 zum Beispiel für nur 130 Euro sei ein Bestseller unter den Schreckschusswaffen. „Die Leute stehen jetzt nicht Schlange“, sagt sie. „Aber der Bedarf ist da. Die Menschen haben Angst.“

Deutschland rüstet auf. Die Bundesbürger entwickeln offenbar ein neues Bedürfnis nach Selbstverteidigung; nur auf den Staat und die Polizei scheinen sie angesichts von islamistischem Terror und Sexangriffen wie in Köln nicht mehr vertrauen zu wollen.

Die Indizien dafür sind kaum zu übersehen: Beim Internethändler Amazon zum Beispiel finden sich in der Rubrik „Sport und Freizeit“ unter den zehn bestverkauften Artikeln sieben Pfeffersprays. Vier davon stehen erst seit wenigen Tagen in der Hitliste. Überhaupt boomt das Geschäft mit sogenannten freien Abwehrmitteln – darunter sind auch Elektroschocker und Schreckschusspistolen. Der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VDB) berichtet, der Umsatz mit diesen Abwehrmitteln habe sich von 2014 auf 2015 verdoppelt.

Dazu passt, dass Städte und Gemeinden immer mehr Kleine Waffenscheine ausstellen. Man braucht das Papier, um eine Schreckschusswaffe in der Öffentlichkeit mit sich herumtragen zu dürfen. 275.000 Kleine Waffenscheine gibt es aktuell, vor einem Jahr waren es noch sechs Prozent weniger. Jetzt aber explodiert die Nachfrage regelrecht.

„Die Leute haben ein Gefühl der Hilflosigkeit“

In Berlin zum Beispiel wurden allein in den ersten beiden Januarwochen 52 Scheine ausgestellt, das waren mehr als dreimal so viel wie im gesamten Januar 2015. Auch in Hamburg berichtet die Polizei von steigender Nachfrage. In Köln wird so oft nach dem Waffenschein verlangt, dass die Polizei nun auf ihrer Facebookseite darüber informiert, wie und wo man ihn bekommt. Selbst im ländlichen Thüringen ist der Trend nachweisbar: Normalerweise stellt das Landratsamt Weimarer Land zehn bis 15 Kleine Waffenscheine im ganzen Jahr aus. Jetzt sind es bis Mitte Januar schon acht; zwölf Anträge werden noch bearbeitet.

Doppelt und dreifach so viele Waffenscheine – ist das noch normal? Nein, findet Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Andererseits: „Es gibt mehr Wohnungseinbrüche, mehr Gewalt auf der Straße wie in Köln und gleichzeitig niedrige Aufklärungsquoten“, sagt Wendt. „Die Leute haben ein Gefühl der Hilflosigkeit.“ Wer meine, eine Schreckschusswaffe zu brauchen, der solle sie sich kaufen: „Ich kritisiere das nicht.“

Allerdings geht Wendts Verständnis nicht so weit, dass er empfiehlt, sich zu bewaffnen. „Im entscheidenden Moment“, glaubt er, „kann ein Laie weder ein Pfefferspray richtig bedienen noch eine Schreckschusswaffe.“ Und auf der Straße könnten die täuschend echt aussehenden Waffen zu bösen Missverständnissen führen, da helfe auch kein Kleiner Waffenschein. „Der Staat muss das subjektive Gefühl für Sicherheit stärken“, sagt Wendt. „Und das geht nur mit mehr Polizei auf der Straße.“

Nachfrage nach Paris-Attentaten gestiegen

Ein lautes Knacken, Metallteile rasten ein. So hört es sich an, dieses ganz bewusst herbeigeführte Missverständnis. Das Geräusch entsteht, wenn man eine Walther P99 spannt. Selbst am Telefon klingt es echt. „Das reicht oft schon, um einen Einbrecher zu vertreiben“, erklärt Ingo Meinhard am anderen Ende der Leitung. Der Geschäftsführer des Waffenhändlerverbands VDB kann lange darüber erzählen, wie man Schreckschusswaffen zu Hause einsetzt und dass der Herbst, wenn es früh dunkel wird, die Zeit ist, in der das Geschäft mit „Abwehrmitteln“ traditionell gut läuft. Jogger und Bewohner abgelegener Häuser seien bisher die Hauptkunden gewesen.

Doch was jetzt passiert, hat auch Meinhard noch nicht erlebt. Seit dem 13. November, dem Tag, als in Paris bei fünf Attentaten 130 Menschen starben, habe die Nachfrage deutlich angezogen. Konkrete Verkaufszahlen habe man bisher nicht erhoben. Die Leute aber kauften nicht mehr aufgrund einer diffusen Bedrohung, sagt Meinhard, sondern aufgrund eines konkreten Anlasses. Mit jedem Terroranschlag würden es mehr. „Mir bereitet das Sorge.“ Pfefferspray und Schreckschusswaffen könnten helfen, sich aus einer persönlichen Notsituation zu befreien. „Für Selbstjustiz ist das nichts.“

Tatsächlich aber kontrolliert bisher niemand, wer eine Schreckschusswaffe kauft. Irene Mihalic, Innenexpertin der Grünen und ausgebildete Polizistin, meint: „Das Waffenrecht ist im Hinblick auf Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen zu lax. Wir sollten regeln, dass auch für Kauf und Besitz solcher Waffen eine Berechtigung notwendig ist.“ Es müsse in jedem Fall verhindert werden, dass die Menschen sich verstärkt bewaffnen, um die Dinge selber in die Hand zu nehmen: „Der Wilde Westen ist nicht unser Leitbild.“ Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Polizei das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen könne.