Istanbul. 1128 Akademiker kritisieren den Militäreinsatz gegen die PKK. Jetzt ermittelt die türkische Justiz. Der Vorwurf: „Terrorpropaganda“.

Die türkische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen mehrere Akademiker eingeleitet, weil sie die Regierung für ihr Vorgehen in den Kurdengebieten kritisiert haben. Ihnen wird unter anderem Propaganda für eine Terrororganisation und Volksverhetzung vorgeworfen, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Hintergrund der Ermittlungen ist eine Erklärung von 1128 türkischen und ausländischen Akademikern vom Montag. Unter der Überschrift „Wir werden nicht Teil sein dieses Verbrechens“ hatten sie die Regierung dazu aufgefordert, mehr für eine friedliche Beilegung des Kurdenkonflikts zu tun. Sie warfen der Regierung zudem eine „Vernichtungs- und Vertreibungspolitik“ im kurdisch geprägten Südosten der Türkei vor. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sprach am Donnerstag von einer „Bande, die sich Akademiker nennt“.

Im Südosten des Landes geht die Armee seit einem Monat in einer Offensive gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor. Dabei sind bisher Hunderte PKK-Kämpfer und nach Oppositionsangaben mehr als 100 Zivilisten getötet worden. Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehört der bekannte US-Sprachwissenschaftler Noah Chomsky.

Schon kurz nach der Veröffentlichung des Aufrufs hatte Erdogan die Akademiker scharf kritisiert und ihnen Unterstützung der PKK vorgeworfen. Nun legte er nach: „Eine Gruppe, eine Bande, die sich selbst Akademiker nennt, hat ihrem Staat und ihrem Volk gegenüber Gift und Galle gespuckt, indem sie sich an die Seite der Terrororganisation gestellt hat“, sagte Erdogan am Donnerstag in Ankara.

Die Erklärung im Wortlaut

Der Wortlaut der Erklärung war am Mittwoch auf der Originalseite nicht mehr zu erreichen, es hieß, die Seite sei gehackt. Dort hatte sich auch eine deutsche Übersetzung gefunden:

Wir, die Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes werden nicht Teil dieses Verbrechens sein!

Der Türkische Staat verurteilt seine Bürger/innen in Sur, Silvan, Nusaybin, Cizre und in vielen weiteren Orten mit wochenlangen Ausgangssperren zum Verhungern und Ausdursten. Unter kriegsartigen Zuständen werden ganze Viertel und Stadtteile mit schweren Waffen angegriffen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit vor Übergriffen, insbesondere das Verbot von Folter und Misshandlung, praktisch alle Freiheitsrechte, die durch die Verfassung und durch die Türkei unterzeichnete internationale Abkommen unter Schutz stehen, werden verletzt und außer Kraft gesetzt.

Diese gezielt und systematisch umgesetzte gewaltsame Vorgehensweise entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage. Sie ist nicht nur ein schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung, sondern verletzt internationale Rechtsnormen wie das Völkerrecht, an die die Türkei gebunden ist.

Wir fordern den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region, die jedoch hauptsächlich gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet ist, sofort einzustellen. Alle Ausgangssperren müssen sofort aufgehoben werden. Die Täter und die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die materiellen und immateriellen Schäden, die von der Bevölkerung zu beklagen sind, müssen dokumentiert und wiedergutgemacht werden. Zu diesem Zweck verlangen wir, dass nationale und internationale unabhängige Beobachter freien Zugang zu den zerstörten Gebieten erhalten, um die Situation vor Ort einzuschätzen und zu dokumentieren.

Wir fordern die Regierung auf, die Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu schaffen. Hierfür soll die Regierung eine Roadmap vorlegen, die Verhandlungen ermöglicht und die Forderungen der politischen Vertretung der kurdischen Bewegung berücksichtigt. Um die breite Öffentlichkeit in diesen Prozess einzubinden, müssen unabhängige Beobachter aus der Bevölkerung zu den Verhandlungen zugelassen werden. Wir bekunden hiermit unsere Bereitschaft, freiwillig an dem Friedensprozess teilzunehmen. Wir stellen uns gegen alle repressiven Maßnahmen, die auf die Unterdrückung der gesellschaftlichen Opposition gerichtet sind.

Wir fordern die sofortige Einstellung der staatlichen Repressionen gegen die Bürger/innen. Als Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes bekunden wir hiermit, dass wir nicht Teil dieser Verbrechen sein werden und in den politischen Parteien, im Parlament und in der internationalen Öffentlichkeit, Initiative ergreifen werden, bis unser Anliegen Gehör findet.

(law/dpa)