Istanbul. Nach dem Attentat in Istanbul herrscht Fassungslosigkeit. Jedoch soll der türkische Geheimdienst zuvor mit Anschlägen gerechnet haben.
Eine rote Nelke an einem Geländer vor dem Obelisken des Theodosius, jener Sehenswürdigkeit, das die deutsche Touristengruppe am Dienstagmorgen gerade bewunderte, als der Attentäter in ihrer Mitte seinen Sprengsatz zündete – eine der vielen Beileidsbekundungen für die Opfer und ihre Hinterbliebenen. Türkische Zeitungen brachten am Mittwoch ihre Anteilnahme in deutscher Sprache zum Ausdruck: „Wir trauern“, lautete die Schlagzeile der Zeitung „Meydan“. Das Blatt „Habertürk“ erschien mit den Worten „Im Herzen bei Euch“ auf der Titelseite.
Am Tag nach dem Selbstmordattentat auf dem Sultanahmet-Platz stieg die Zahl der deutschen Opfer auf zehn: Zwei weitere Touristen erlagen ihren schweren Verletzungen. Der Attentäter hatte sich auf dem Platz unter die 33-köpfige deutsche Reisegruppe gemischt und dann seinen Sprengsatz gezündet. Innenminister Thomas de Maizière, der am Mittwoch nach Istanbul kam, sieht dennoch „keine Anzeichen, dass der Anschlag gezielt gegen Deutsche gerichtet war“. Nach einem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Efkan Ala sagte de Maizière, beide Ländern wollten eng zusammenarbeiten: „Wir wissen, wir sind beide bedroht vom Terrorismus. Deshalb muss auch die Antwort eine gemeinsame sein.“ Deutschland und die Türkei „rücken noch enger zusammen“, so der Minister. Gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu besuchte de Maizière Verletzte. Noch sieben Deutsche befanden sich am Mittwoch in Krankenhäusern, fünf von ihnen auf der Intensivstation.
Täter beantragte zuvor Asyl in Istanbul
Als Täter haben die türkischen Behörden den 28 Jahre alten Nabil Fadli identifiziert. Er stammt aus Saudi-Arabien, besaß die syrische Staatsangehörigkeit und hatte sich der Terrormiliz IS angeschlossen. Er stand in der Türkei auf keiner Fahndungsliste, war erst kürzlich aus Syrien gekommen und hatte am 5. Januar in Begleitung von vier anderen Männern bei der Ausländerbehörde in Istanbul Asyl beantragt. Jetzt suchen die Fahnder nach möglichen Komplizen und weiteren potenziellen Attentätern. Die Behörden meldeten am Mittwoch 13 Festnahmen. In der Touristenmetropole Antalya wurden drei Russen verhaftet, mutmaßliche Mitglieder des IS.
Nach Attentat Trauer um tote Deutsche
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In den türkischen Medien gab es am Tag nach dem Anschlag nur spärliche Informationen über die bisherigen Ermittlungsergebnisse der Sicherheitsbehörden. Der Grund: Ein Istanbuler Gericht hat eine Nachrichtensperre über den Fall verhängt. Soviel aber sickerte durch: Der Anschlag von Istanbul scheint nicht aus heiterem Himmel gekommen zu sein. Offenbar hatte der türkische Geheimdienst MIT Hinweise auf geplante Attentate und gab entsprechende Warnungen an die Polizeibehörden heraus, berichtete am Mittwoch die Zeitung „Hürriyet“. Der MIT warnte laut „Hürriyet“ am 17. Dezember und erneut am 4. Januar vor geplanten Anschlägen „gegen Nato-Einrichtungen, ausländische Botschaftsgebäude und Konsulate sowie auf Orte, an denen sich viele Ausländer und Touristen aufhalten“. Das besondere Augenmerk des türkischen Geheimdienstes gilt der Terrorzelle „Dokumacilar“, die vom südtürkischen Adiyaman aus operiert und bereits für die Selbstmordsanschläge vom südtürkischen Suruc im Juli 2015 mit 33 Toten und von Ankara im Oktober mit über 100 Opfern verantwortlich gewesen sein soll. Mitglieder der Terrorzelle kämpften in der Vergangenheit auch in Syrien für den IS. Jetzt versuchen die Ermittler zu klären, ob auch der Attentäter vom Sultanahmet-Platz Verbindungen zu dieser Terrorzelle hatte.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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