Washington. Etwas Wehmut, aber auch kämpferische Töne: US-Präsident Barack Obama gab sich bei seiner letzten Rede an die Nation voller Tatendrang.

Einmal im Jahr blicken die USA mit besonderer Aufmerksamkeit auf ihren Präsidenten. Wenn der Chef im Weißen Haus zur Lage der Nation spricht und Rechenschaft ablegt über Gewesenes und Vorschau gibt auf das, was noch kommt, gerinnt Demokratie zum pathetischen Hochamt, dem Millionen an den Fernsehern zuhause folgen.

Das Ritual trägt feudale Züge und bewegt sich im immer gleichen Spannungsfeld. Weder darf das hohe Lied auf die amerikanische Einzigartigkeit fehlen, noch der selbstkritische Weckruf zu einem immerwährenden nationalen Aufbruch, um das Land noch besser, noch vollkommener zu machen. Auch in der Rede an die Nation, die Barack Obama am Dienstagabend letztmals vor beiden Kammern des Kongresses im Kapitol von Washington hielt, fanden sich diese Versatzstücke wieder. Und doch war etwas entscheidend anders.

„Opposition liefert nur heiße Luft“

Als der gelöst und erleichtert wirkende Obama nach 60 Minuten endete, war so etwas wie Wehmut im hohen Haus zu spüren. Obamas letzte Rede leitet eine Zäsur ein. Der „Yes we can“-Mann von 2008 geht auf die Schluss-Etappe. In einem Jahr ist Schluss. Aber watscheln will der schon oft als „lahme Ente“ abgestempelte erste Afro-Amerikaner im Weißen Haus nicht. Im Gegenteil.

Um zu verhindern, dass bei der Wahl im November ein republikanischer Nachfolger sein Vermächtnis fleddert (Krankenversicherung, Klimaschutz, Steuererleichterungen für die Mittelschicht, Homo-Ehe), bevor die Reformen vollständig wirken können, warnte der Präsident eindringlich vor „politisch heißer Luft“ aus der Opposition. Wer Amerika, das unter seiner Führung 14 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, die Erwerbslosenquote auf fünf Prozent halbiert und das Haushalts-Defizit um drei Viertel gedrückt habe, als ein Land im Niedergang beschreibe, betreibe Sciene Fiction.

Indirekte Attacke auf Donald Trump

Indirekt wandte sich Obama gegen Leute wie den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, die „versprechen, die alte Pracht wiederherzustellen“ und so tun, als „könnten wir den Wandel stoppen“.

Obamas Zukunftsvision – „Möglichkeiten und Sicherheit für unsere Familien, steigender Lebensstandard und ein nachhaltiger, friedlicher Planet für unsere Kinder“ – sei erreichbar. „Aber es wird nur geschehen, wenn wir zusammenarbeiten, wenn wir vernünftige, konstruktive Debatten haben können“, so der Präsident.

An dieser Stelle übte Obama die einzige nennenswerte Selbstkritik. Anders als bei Amtsantritt versprochen sei es ihm nicht gelungen, die Gräben zwischen den politischen Lagern zu schließen. „Hass und Argwohn“ seien während seiner Amtszeit noch gewachsen. „Aber ich garantiere, dass ich es weiterhin versuchen werde, es besser zu machen, so lange ich im Amt bin.“

„Wir müssen unser politisches System reparieren“

Um das Klima zu ändern, so der Präsident, müssen wir „unser politisches System reparieren“. Damit sei nicht gemeint, dass man immer einer Meinung sein müsse, „aber Demokratie erfordert ein Grundvertrauen zwischen seinen Bürgern.“ Absonderlichkeiten bei der Wahlkampf-Finanzierung, dem Zuschnitt der Wahlkreise, die es Politikern ermögliche, sich ihr Volk auszusuchen anstatt umgekehrt, müssten darum dringend abgestellt werden.

Noch während Obama redete, ließen die in beiden Parlamentskammern mit Mehrheit regierenden Republikaner über Twitter ihrem Unmut freien Lauf. In der Kontinuität von Obstruktion, die seit Obamas erstem Amtstag 2009 währt, kritisierten sie das Bild, das Obama von Amerika zeichne, erneut als weltfremd und falsch. „46 Millionen Amerikaner leben in Armut. Das neue Gesundheitssystem bricht zusammen. Die Umweltgesetzgebung zerstört Arbeitsplätze in traditionellen Energie-Branchen wie der Kohle“, ließen Mitarbeiter von Paul Ryan verbreiten.

Republikaner blieben demonstrativ sitzen

Der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, der bei der Rede zur Lage der Nation traditionell neben Vizepräsident Biden direkt hinter Obama sitzt, verzog kaum eine Miene und spendete nur Beifall, als Obama das Militär lobte. Um ihr Missfallen auszudrücken, blieben viele Konservative demonstrativ sitzen, während Obamas Demokraten regelmäßig euphorisch in den „standing ovations“-Gang hochschalteten.

Im Militärischen war der Kontrast wie so oft am stärksten. Während die Republikaner Amerika über kurz oder lang vor der Erstürmung durch die Terroristen des Islamischen Staats (IS) wähnen, rief Obama zur Mäßigung auf. „Es sind Mörder und Fanatiker, die aufgestöbert, zur Strecke gebracht und zerstört werden müssen“, sagte er. Aber den Kampf gegen den IS mit einem „dritten Weltkrieg“ zu vergleichen, sei ebenso falsch und übertrieben wie das Terror-Bündnis für den „Repräsentanten einer der größten Religionen der Erde“ zu halten und damit Millionen Muslime unter Generalverdacht zu stellen.

Syrischer Flüchtling in Michelle Obamas Loge

In diesem Moment schwenkten die Fernsehkameras auf die Besuchertribüne. Dort war ein weißhaariger, stiller Mann zu sehen, der überhaupt nicht in Amerika sein dürfte, ginge es nach den zuletzt massiv islamkritischen Republikanern. In der Loge von First Lady Michelle Obama, die mit einem sonnenblumengelben Kleid Aufsehen erregte, saß neben anderen Ehrengästen Refaai Hamo. Der Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien lebt seit Dezember mit vier Kindern in der Nähe von Detroit. Der 55-Jährige hat Magenkrebs. Seine Frau und eine Tochter wurden bei einem Raketenangriff 2013 getötet. Durch die Hilfe des Schauspielers Edward Norton wurde der Fall bekannt. Nach zweijähriger Überprüfung bekam Hamo die Genehmigung zur Einreise in die USA.

Obama endete mit Mut machenden, mit versöhnlichen Tönen: „Ich glaube an den Wandel, denn ich glaube an euch“, sagte er ans Volk gewandt. „Das ist das Amerika, das ich liebe. Mit klarem Blick. Mit großem Herzen. Unbeeindruckt von Herausforderungen. Optimistisch, dass entwaffnende Ehrlichkeit und bedingungslose Liebe das letzte Wort haben werden.“