Köln. Seit Silvester ist Köln in den Schlagzeilen. Wieder. Ein Skandal scheint sich in Köln an den nächsten zu reihen. Analyse eines Kölners.

Köln, immer wieder Köln. Nach der Gewaltnacht an Silvester rund um den Hauptbahnhof steht die viertgrößte Stadt Deutschlands – mal wieder – im Brennpunkt. Eine Stadt, in der sich die Skandale anscheinend nahtlos aneinanderreihen wie die Motto-Wagen im Rosenmontagszug.

Beim Bau der U-Bahn stürzt im März 2009 das Stadtarchiv ein, bei der Stadtratswahl im Mai 2014 werden die Stimmen falsch ausgezählt, bei den Hogesa-Exzessen im Oktober 2014 schafft es ein rechtsradikaler Mob mit 4000 Hooligans und Rechtsextremen, den Hauptbahnhof in einen rechtsfreien Raum zu verwandeln, die Oberbürgermeister-Wahl im September 2015 muss wegen falsch gedruckter Stimmzettel um fünf Wochen verschoben werden, da fallen kleinere Skandale wie das Desaster um die Sanierung von Oper und Schauspiel oder eines Spezialeinsatzkommandos, das sich für ein Abschiedsfoto auf dem Pylon einer Rheinbrücke aus einem Hubschrauber fotografieren lässt, gar nicht mehr ins Gewicht.

Die Polizei überlässt die Stadt dem Mob

Und jetzt diese beispiellosen sexuellen Übergriffe von bis zu 1000 jungen Männern ausländischer Herkunft, die von den vorwiegend weiblichen Opfern als Nordafrikaner und Araber beschrieben werden, unter denen aber auch eine Reihe von Flüchtlingen gewesen sein sollen. Ihnen stehen hoffnungslos überforderte Polizisten gegenüber – und das obwohl schon am frühen Silvesterabend deutlich wird, dass die Grundstimmung rund um den Dom und Bahnhof überaus aggressiv ist.

Die Polizei überlässt die Stadt dem Mob – zum zweiten Mal innerhalb eines guten Jahres. Und dennoch zieht der Kölner Polizeipräsident am Neujahrstag zunächst eine positive Bilanz. Alles im Griff. Für eine Silvesternacht. Alles überwiegend friedlich. Alles wie immer.

Leichtigkeit des Seins im Schatten des Doms

Typisch kölsch, schallt es durch die Republik. Typisch Köln, die Hauptstadt der organisierten Verantwortungslosigkeit. In der man alles nicht so ernst nimmt und möglichst schnell wieder vergisst, was nicht mehr zu ändern ist. Nach dem wohl wichtigsten Paragrafen des kölschen Grundgesetzes: Et hätt noch immer jot jejange. Nein. So einfach ist das nicht. So leicht lassen sich die Kölner und die Imis, also die Zugereisten, die deutlich in der Mehrheit sind, ihre Stadt nicht kaputtreden. Und warum nicht? Weil sie so gern hier leben, weil sie die Leichtigkeit des Seins im Schatten des Doms zu schätzen wissen. Und weil sie völlig jeck darauf sind, allen zu erzählen, wie wundervoll es ist, in „der schönsten Stadt Deutschlands“ zu leben. So begrüßt der Stadionsprecher des 1. FC Köln grundsätzlich die Fans der Gastmannschaften. Und keiner wagt es, zu pfeifen.

Dieses Lebensgefühl und diese Leichtigkeit sind aber keineswegs zu verwechseln mit dem, was absolut nicht kölsch ist. Mit der Unprofessionalität, eine Millionenstadt so zu managen, dass nicht eine Katastrophe auf die nächste folgt. Ein Polizeipräsident, der eine Silvesternacht, in der sich der Mob ungestraft austoben kann, voreilig als weitgehend friedlich mit einer entspannten Einsatzlage bezeichnet, handelt unprofessionell und nicht kölsch. Eine Kulturdezernentin, die angesichts eines 180-Millionen-Debakels im Bauskandal um die Oper jammert, sie trage schließlich nicht den „Oberverantwortungshut“, handelt unprofessionell und nicht kölsch. Erst zu früh reden, dann zu viel reden und wenn gar nichts mehr hilft: rausreden. Und bloß keine Konsequenzen ziehen. Das ist verantwortungslos, aber nicht kölsch.

Der Kölner neigt zur Bequemlichkeit

Aber was ist dann eigentlich typisch kölsch? Immer wenn es hart wird, die Stadt sich in der Krise befindet, sucht der Kölner einen, der das für ihn regelt. Weil er selbst zur Bequemlichkeit neigt und außerdem jetzt erstmal Karneval vor der Tür steht. Das nennt man den Heinzelmännchen-Effekt. Es gab schon viele Heinzelmännchen. Christoph Daum und Lukas Podolski sollten dereinst den 1. FC Köln retten und die Höhner die Volksmusik. Das aktuelle Heinzelmännchen ist eine Heinzelfrau. Sie heißt Henriette Reker, parteilos, seit kurzem Oberbürgermeisterin und soll jetzt alles wieder richten. Zumindest an Weiberfastnacht und Rosenmontag. Damit zehntausende Besucher aus ganz Deutschland, die ganz jeck op Kölle sind, auch in Ruhe feiern können.

Peter Berger (56) arbeitet als Chefreporter für den Kölner Stadt-Anzeiger und war von 1985 bis 1998 Redakteur bei der WAZ.