Berlin. Die neue SPD-Generalsekträrin Katarina Barley spricht über mögliche Koalitionen, die Wahlbeteiligung und ihren Chef Sigmar Gabriel.

Sie wirkt völlig unbekümmert, ganz so, als seien ihre Vorgängerinnen Andrea Nahles und Yasmin Fahimi glücklich geworden mit der Aufgabe, nach den Vorstellungen des Vorsitzenden Sigmar Gabriel die SPD zu organisieren. Katarina Barley ist dabei, sich einzurichten im Büro der Generalsekretärin. Auf dem Tisch stehen ein Teller mit Obstspiessen, eine Kanne Pfefferminztee und eine kleine Topfpflanze, die zu wenig Wasser bekommen hat. Die Mäntel der Besucher verstaut die gebürtige Kölnerin im Büroschrank, auf den Kleiderbügeln steht „Willy Brandt“.

Glückwunsch zu einem der schwierigsten Jobs, die das politische Berlin zu bieten hat.

Katarina Barley: Das ist keine einfache, aber eine sehr reizvolle Aufgabe.

Sie dienen einem sprunghaften Parteichef, der selber gern in den Angriffsmodus des Generalsekretärs wechselt.

Barley: Ich schätze den Vorsitzenden und arbeite gut mit ihm zusammen. Ich habe in meinem Berufsleben immer mit starken Persönlichkeiten zu tun gehabt.

Der SPD-Parteitag hat Gabriel gedemütigt. Gehören Sie zu jenen, die das 74-Prozent-Wahldebakel als Aufforderung deuten, die Partei wieder mehr nach links zu führen?

Barley: Inhaltlich sehe ich keinen Anlass zur Kurskorrektur. Wir haben das Leben für viele Menschen erleichtert, zum Beispiel durch den Mindestlohn, das Elterngeld plus und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Das müssen wir besser vermitteln. Da sehe ich auch meine Aufgabe jetzt ganz wesentlich.

Tritt die SPD dafür ein, den Mindestlohn weiter zu erhöhen?

Barley: Alle Untergangsszenarien über einen Arbeitsplatzabbau durch den Mindestlohn haben sich als grober Unfug erwiesen. Im Gegenteil: Der Mindestlohn hat die Kaufkraft gestärkt, und wir haben mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bekommen, weil 450-Euro-Jobs umgewandelt wurden. Natürlich sollte der Mindestlohn steigen, keine Frage. Die Erhöhung liegt aber nicht mehr in den Händen der Politik, sondern in den Händen der Mindestlohn-Kommission, also der Tarifpartner.

Ist es klug, für die nächste Bundestagswahl einen geschwächten Parteichef als Kanzlerkandidaten aufzubieten?

Barley: Sigmar Gabriel ist ein sehr guter Vorsitzender. Es gibt immer Menschen, die sich an ihm reiben, und das wird sich auch nie ändern. Aber ich arbeite eng und gut mit ihm zusammen. Über die Kanzlerkandidatur entscheiden wir Anfang 2017. Und selbstverständlich hat Sigmar Gabriel dann das erste Zugriffsrecht.

Das neue Jahr wird für die SPD nicht einfacher als das alte. Bei den Landtagswahlen im Frühjahr droht ein empfindlicher Rückschlag...

Barley: Das werden wir sehen. Ich habe kein Vertrauen in Wahlumfragen. Unser Ziel ist, bei allen Landtagswahlen im kommenden Jahr unser Ergebnis zu steigern. Ich bin da optimistisch, denn wir haben mit Nils Schmid in Baden-Württemberg und Katrin Budde in Sachsen-Anhalt starke Kandidaten. Als Rheinland-Pfälzerin wünsche ich mir, dass Malu Dreyer Ministerpräsidentin bleibt.

Der Aufstieg der AfD macht Rot-Grün noch unwahrscheinlicher - auch in Rheinland-Pfalz...

Barley: Ich hätte ein Rezept gegen die AfD: Frau Klöckner, die CDU-Kandidatin, sollte aufhören, am rechten Rand zu fischen. Aber ich fürchte, das wird sie nicht tun. Sie macht das ja schon sehr lange – und auch sehr planvoll. Frau Klöckner stärkt damit bewusst die AfD. Das ist unverantwortlich.

Wird Thüringen, wo SPD und Grüne einen Ministerpräsidenten der Linkspartei tragen, zum Modell für Sachsen-Anhalt?

Barley: Das ist Sache der Landespartei.

Können Sie sich eine Koalition mit der Linkspartei im Bund vorstellen?

Barley: Wir reden mit allen, und es gibt Menschen in der Linkspartei, mit denen ich persönlich sehr gut klarkomme und zusammenarbeite. Es gibt allerdings nach wie vor Themen, vor allem in der Außenpolitik, bei denen es gar nicht passt. Aber warum wird diese Frage immer nur der SPD gestellt? Rot-Rot-Grün würde auf Bundesebene vor allem daran scheitern, dass Grüne und Linke überhaupt nicht miteinander können.

Also wird die SPD bestenfalls wieder Juniorpartner der Union.

Barley: Bis zur nächsten Bundestagswahl kann noch so viel passieren.

Von Ihrer Vorgängerin Yasmin Fahimi bleibt der Kampf gegen die sinkende Wahlbeteiligung - und die Ausdauer im Streit mit CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Was wird Ihr wichtigstes Projekt?

Barley: Der Wahlsieg 2017. Wir werden ein richtig gutes Wahlprogramm erarbeiten – und bis zur Bundestagswahl möglichst viel sozialdemokratische Politik umsetzen. Dann können wir den Bürgern im Wahlkampf sagen: Eine SPD-geführte Regierung wäre die Fortsetzung davon. Die sinkende Wahlbeteiligung treibt aber auch mich um. Ich bin Verfassungsrechtlerin, habe über Wahlrecht promoviert. Das Thema liegt mir sehr am Herzen.

Wie denken Sie über eine Wahlpflicht?

Barley: In Nordafrika lassen sich Menschen dafür umbringen, dass sie wählen dürfen. Und in Deutschland müssen wir über Wahlpflicht diskutieren. Ich finde das traurig. Ich glaube auch nicht, dass wir eine Wahlpflicht brauchen. Es kommt darauf an, wieder mehr zu politisieren. Durch die aktuellen Debatten über den Umgang mit den vielen Flüchtlingen findet ja schon eine stärkere Politisierung statt.

Fahimi dachte an eine Ausdehnung der Bundestagswahl auf mehrere Tage.

Barley: Das ist kein Allheilmittel. Der Wahlsonntag ist sehr traditionell geprägt. Sicherlich ist es aber sinnvoll, bessere Möglichkeiten für die Stimmabgabe zu schaffen, sowohl zeitlich als auch örtlich. Vor allem müssen wir aber eine breite, öffentliche Debatte darüber führen, wie wichtig Demokratie für unser Zusammenleben ist. Da sind alle gefordert, nicht nur die Parteien, sondern etwa auch Gewerkschaften, Medien und Wirtschaftsverbände. Im Februar findet dazu eine große Konferenz statt. Ich bin gespannt auf neue Vorschläge.