Berlin. Keine Feuerwerkskörper vor Asylheimen: Schützt das die Bewohner davor, dass der Krieg sie einholt? Eine Psychologin wirbt für die Idee.

Die Psychologin, Meryam Schouler-Ocak, leitet die Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St.-Hedwig-Krankenhaus in Berlin und therapiert seit zwei Jahren zunehmend Flüchtlinge. Das Krankenhaus hat spezielle Angebote, die auf traumatisierte Migranten zugeschnitten sind. Im Interview spricht die Ärztin über Sinn und Unsinn der Rücksichtnahme auf Flüchtlinge, die den Krieg noch immer mit sich tragen. Insbesondere das Verbot von Feuerwerkskörpern im Umfeld von Asylheimen verteidigt Schouler-Ocak. Denn die psychischen Schäden, die die Knallerei hinterlassen kann, seien schwer einzuschätzen.

In Nordrhein-Westfalen und womöglich weiteren Bundesländern wird das Böllern vor Asylheimen dieses Jahr untersagt sein. Eine sinnvolle Maßnahme?

Unter psychiatrischen Gesichtspunkten unbedingt. Uns liegen zwar keine repräsentativen Daten für Deutschland vor, aber es wird geschätzt: Mehr als 70 Prozent der nach Deutschland geflüchteten Menschen haben vor und während ihrer Flucht traumatische Erlebnisse gehabt. Unsicherheit der Lebensbedingungen, Krieg, Folter, Inhaftierung, Terroranschläge, Misshandlungen und sexualisierte Gewalt zählen zu den traumatisierenden Erlebnissen. Darunter können auch Schüsse oder Bombenhagel in der Heimatstadt sein. Häufig graben sich diese dramatischen Erlebnisse tief ins Gedächtnis ein und können durch bestimmte Reize wie lautes Knallen und grelle Leuchtkörper wieder aufflackern. Plötzlich und unerwartet können dadurch die betroffenen geflüchteten Menschen durch Flashbacks, sogenannten Nachhallerinnerungen in Form von Szenen, Bildern, Geräuschen, Gefühlen, Gerüchen etc. völlig überflutet werden und befinden sich quasi wieder in der traumatisierenden Situation. Die traumatische Zange bestehend aus Ohnmacht, Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit führt dann zur Vertiefung der psychischen Wunden. Das kann dann zu einer Reihe von Symptomen führen bzw. diese verstärken.

Welche Symptome sind das?

Da müssen wir unterscheiden. Bei den sogenannten Flashbacks im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung befindet sich der Betroffenen gefühlt wieder in der schrecklichen Situation: Die Folgen können panische Ängste, Starregefühle, körperliche Schmerzen und auch Erregungszustände sowie Verlust von Sicherheits- und Kontrollgefühlen sein. Es kann sich dann für die Betroffenen so anfühlen, als wären sie in diesem Moment nicht in einer sicheren Unterkunft in Deutschland, sondern zum Beispiel wieder in der syrischen Heimatstadt, auf die Bomben hageln. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass 40 bis 54 Prozent der geflüchteten Menschen zumindest teilweise an einer solchen posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Die meisten Flüchtlinge berichten über Symptome einer Angststörung. Häufig werden auch Schlafstörungen und Gereiztheit angegeben.

Ehrenamtliche, das Deutsche Rote Kreuz und die Johanniter bereiten Flüchtlinge auf das Feuerwerk vor, indem sie Silvester erklären. Kann das Flashbacks verhindern?

Verhindern nicht, da sich die Erinnerungen nicht einfach wegschieben lassen. Wenn ein lauter Knall, ein Geruch oder ein optischer Reiz als Trigger die alten Erlebnisse wieder hervorholen, kann sich ein Mensch dagegen nicht wehren. Ich halte die Informations-Kampagne der Helfer dennoch für äußerst sinnvoll, weil sich die Bewohner so auf die Nacht einstellen können. Sie haben die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sich zu schützen, Musik zu hören oder andere Dinge zur Ablenkung zu unternehmen. Das ist wichtig, weil die Böllerei dann nicht plötzlich und unerwartet auf sie prallt und dadurch eine weitere Gefahr vermindert wird.

Welche?

Die Betroffenen können sich auf die Situation vorbereiten und den Verlust der Kontroll- und Sicherheitsgefühle vorbeugen. Somit kann das Risiko verringert werden, dass die traumatischen Erlebnisse hoch getriggert werden und sich noch tiefer in die Psyche eingraben. Umso häufiger die geflüchteten Menschen traumatisierenden Szenen ausgeliefert sind und durchleben – wenn auch nur in Gedanken –, desto größer wird die Belastung. Und das wiederum führt dazu, dass weiteren psychischen Problemen der Weg bereitet wird. Zudem können sie die Integrationsfähigkeit der Betroffenen erschweren.