Madrid/Berlin. Bei der Parlamentswahl in Spanien droht Ministerpräsident Mariano Rajoy der Machtverlust. Zwei neue Parteien werden zu Königsmachern.

In der spanischen Politik bricht eine neue Ära an. Jahrzehntelang haben mal die Konservativen (PP), mal die Sozialisten (PSOE) die Regierung gebildet – meist im Bündnis mit kleinen Regionalparteien. Doch bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag ist alles anders. Wenn die Meinungsumfragen nicht völlig danebenliegen, werden zwei neue Parteien sehr gut abschneiden und den Ministerpräsidenten mitbestimmen. Die Tage des konservativen Regierungschefs Mariano Rajoy – so scheint es – sind gezählt.

Die Spanier haben am Sonntag nicht nur die Wahl zwischen rechts und links, sondern auch zwischen Alt und Neu. Die beiden frischen Gruppierungen wettern mit Erfolg gegen Filz und Korruption der beiden Altparteien. Sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten waren in der Vergangenheit in Finanzskandale verstrickt. So sollen zum Beispiel EU-Fördergelder in den Taschen von sozialistischen Funktionären verschwunden sein.

Beide neuen Parteien haben junge, charismatische Führungspersönlichkeiten. Ciudadanos (Bürger) ist eine bürgerlich-liberale Gruppierung. Sie setzt sich für mehr Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft und bessere Bildung ein – programmatisch eine Art sozialliberal ausgerichtete FDP. An der Spitze steht der 36-jährige Albert Rivera, ein smarter Jurist und glänzender Redner. Typ: Lieblingsschwiegersohn.

Sympathien für Syriza

Das Gesicht von Podemos (Wir können) ist der 37-jährige Politologe Pablo Iglesias. Der Parteichef trägt weder Anzüge noch Krawatten. Seine Markenzeichen sind Kinnbart und Pferdeschwanz. Er sympathisiert offen mit der griechischen Linkspartei Syriza. Seine antikapitalistischen Töne hat Iglesias aber zurückgefahren. Heute klingt er mehr sozialdemokratisch. „Ein Land mit dir“, lautet das Podemos-Motto, in dem sich die Idee der Basisdemokratie und Bürgernähe widerspiegelt.

Nach den letzten Umfragen kommen Ciudadanos und Podemos auf jeweils 18 bis 19 Prozent. Sie sind damit die Königsmacher in der spanischen Politik – ohne sie läuft nichts. Die Konservativen verlieren ihre absolute Mehrheit an Sitzen und landen bei 25 bis 27 Prozent. Die Sozialisten mit ihrem 43-jährigen Vorsitzenden Pedro Sánchez – wegen seines Aussehens „Pedro der Hübsche“ genannt – erreichen 20 bis 21 Prozent.

Die neue Vielfalt der Parteienlandschaft hat allerdings eine Kehrseite: Die Regierungsbildung nach der Wahl dürfte sich sehr schwierig gestalten. „Die Aufsplitterung könnte das Land unregierbar machen“, befürchtet die Zeitung „El Mundo“. Nach den Umfragen könnte eine Allianz zwischen der konservativen Partei von Ministerpräsident Rajoy und den konservativ-liberalen Ciudadanos auf eine ausreichende Mehrheit kommen, aber Ciudadanos-Chef Rivera kündigte schon an: „Wir werden Rajoy nicht zum Regierungschef wählen.“

Wird Rajoy geopfert?

Dies löste Spekulationen aus. Die Konservativen könnten, um an der Macht zu bleiben, den 60-jährigen Rajoy opfern und dessen Vertraute, die Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría, als neue Ministerpräsidentin vorschlagen. In den Medien war – unter Anspielung auf das berühmte Velázquez-Gemälde „Las Meninas“ (Die Hoffräulein) – von der „Operación Menina“ die Rede. Die frühere Staatsanwältin Sáenz de Santamaría, eine der mächtigsten Frauen in Spanien, will davon aber nichts wissen. Rajoy sei der Chef und Spitzenkandidat der Konservativen, betonte die 44-Jährige. Zudem offenbare der Ausdruck „Operación Menina“ ein Machogehabe.

Eine große Koalition von Konservativen und Sozialisten scheint ausgeschlossen zu sein. Beim kürzlichen TV-Duell ging der Sozialistenchef Sánchez Rajoy derart rabiat an, dass das Tischtuch zerschnitten ist. „Der Ministerpräsident muss eine anständige Person sein – und Sie sind nicht anständig“, attackierte Sánchez den erst entgeisterten und dann wütenden Rajoy.

Eine Anti-Rajoy-Koalition von Sozialisten, Ciudadanos und Podemos nach dem Vorbild der Linksallianz in Portugal – dort als „Allianz der Verlierer“ bezeichnet – wäre theoretisch möglich, ist aber sehr unwahrscheinlich. Auch eine Minderheitsregierung von Sozialisten und Podemos, die von Ciudadanos toleriert wird, ist auf dem Papier denkbar. Käme diese jedoch nicht sehr realistische Option, würde das unter Rajoy durchgedrückte Reform- und Sparprogramm wohl zurückgedreht.

Protest gegen Rajoys Sparkurs

Rajoy hatte dem von der Finanzkrise schwer getroffenen Spanien eine harte Remedur verordnet. 2012 war die Bankenbranche marode. Das Land musste mit 41 Milliarden Euro vom Rettungsschirm gestützt werden. Einschneidende Kürzungen in der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik brachten das Volk gegen Rajoy auf. Und sorgten für die Geburt der mächtigen Protestparteien Podemos und Ciudadanos.

Wie es scheint, können auch die neuerdings positiven Konjunkturdaten Rajoy nicht retten. Spaniens Wirtschaft soll 2015 immerhin um mehr als drei Prozent wachsen. Die Arbeitslosenquote sank zwar, liegt aber immer noch bei horrenden 21 Prozent. Die Zahl der von Armut bedrohten Spanier stieg sogar auf 29 Prozent.

Bei vielen herrscht die Meinung vor, dass der leichte Aufschwung bei der breiten Masse nicht ankomme. Das musste Rajoy erst am Donnerstag erfahren. Bei einem Wahlkampfauftritt im galizischen Pontevedra schlug ihm ein 17-jähriger Gymnasiast ins Gesicht. Rajoys Brille ging zu Bruch, und er musste sich eine Ersatzsehhilfe beschaffen. Der Regierungschef versuchte es am Freitag mit Galgenhumor. „Wenn mir noch mal jemand ins Gesicht schlägt, bin ich ganz ohne Brille“, sagte er im Radiosender Cope.