Washington. Vor ihrer TV-Debatte am Samstagabend überziehen sich die US-Demokraten Hillary Clinton und Bernie Sanders mit Manipulationsvorwürfen.

Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf hatte bis Samstag zwei Gesichter. Die ratlosen Republikaner zerlegen sich untereinander, weil sie nicht verstehen, warum Donald Trump in den Umfragen immer noch weiter steigt, obwohl er grauenvollen Unsinn erzählt und keine Peinlichkeit auslässt. Bei den Demokraten von Amtsinhaber Obama herrschte dagegen bisher Friede, Freude, Eierkuchen. Man ging gesittet, fast freundschaftlich miteinander um. Doch plötzlich ist Krieg: Gegenseitig überziehen sich Favoritin Hillary Clinton und ihr aussichtsreichster Konkurrent Bernie Sanders mit massiven Manipulations- und Diebstahlvorwürfen. Ein Bundesgericht in Washington ist bereits eingeschaltet. Es geht um das Allerkostbarste im amerikanischen Wahlkampf – die Daten von Wählern.

Was ist passiert? Am Mittwoch begaben sich vier Mitarbeiter der Wahl-Kampagne von Bernie Sanders via Computer auf verbotenes Terrain. Weil eine „Firewall“ versagte, stöberten sie in einer allen demokratischen Kandidaten gegen Entgelt prinzipiell zur Verfügung stehenden Datenbank des Washingtoner Software-Verkäufers NGP VAN ausgiebig an der falschen Stelle: in den hochdifferenzierten Datensätzen, die das konkurrierende Clinton-Lager über Millionen potenzielle Wählerinnen und Wähler angelegt hat.

Detailreiche Profile als Daten-Goldgrube im Wahlkampf

In diesen über die Jahre extrem verfeinerten Profilen sind nicht nur Namen, Adressen, Bildungshintergrund, Religionszugehörigkeit, Beruf und früheres Wahlverhalten aufgeführt. Sondern so ziemlich alle individuellen Gewohnheiten, Vorlieben, Konsumentscheidungen und Meinungen fast aller Wahlberechtigten. Wer auf diese Daten-Goldgrube Zugriff hat, kann einzelne Personen millimetergenau ansprechen, mit politischen Werbebotschaften oder Spendenaufrufen eindecken und am Tag X zum Urnengang ermuntern.

Das ohne Internet und Computertechnik undenkbare Verfahren, „Micro-Targeting“ genannt, gilt als General-Schlüssel des ersten Wahlerfolgs Barack Obamas. Nach der Wahl 2008 erzählten die Strategen der siegreichen Kampagne des ersten afro-amerikanischen Präsidenten, dass sie Namen, Details und manches mehr aller 69.456.897 Amerikaner kennen, die Obama ihre Stimme gaben. Unter deutschen Datenschutz-Gesichtspunkten undenkbar, schon klar, in den USA aber inzwischen Alltag.

Demokraten entziehen Kandidat Sanders Zugang zu Daten

Als in dieser Woche der Dateneinbruch bei der immer noch an einer seltsamen E-Mail-Affäre laborierenden Clinton auffiel, flog der Hauptübeltäter Josh Uretsky achtkantig raus. Obwohl er nach eigenen Worten „nur technische Schwachstellen kenntlich machen wollte“ und nie an einen echten Datenklau zugunsten Sanders’ gedacht haben will.

Das sehr auf Integrität bedachte Sanders-Lager glaubte mit dem Rausschmiss die Wogen geglättet zu haben. Großer Irrtum. Die Führung der Demokratischen Partei (DNC) entzog am Freitag zur Strafe dem Sanders-Team den Zugang zu den eigenen Datensätzen. Ohne diese Informationen ist aber jede Wahlkampagne hoffnungslos aufgeschmissen.

Weil das auf dem Papier zu strikter Neutralität verpflichtete DNC seit langem in dem Verdacht steht, Hillary Clinton zu unterstützen, glaubt man im Lager des mit Vorliebe den Volkstribunen gebenden Bernie Sanders an eine Sabotage-Aktion. „Unsere Daten werden als Geiseln genommen“, polterte Kampagnen-Manager Jeff Weaver live im Fernsehen und schaltete am Freitag ein Bundesgericht ein. Die Parteizentrale soll so zur Herausgabe der Zugangscodes gezwungen werden.

Verdacht: Clinton-Lager will Sanders-Kampagne finanziell austrocknen

Weavers Verdacht: Knapp sechs Wochen vor der ersten offiziellen Vorwahl im Bundesstaat Iowa will die Clinton-Clique den in Umfragen bedrohlich nahe kommenden Senator aus Vermont, der mit seinem sozialdemokratisch angehauchten Programm viele Menschen begeistert, finanziell am langen Arm verhungern lassen. Denn jeder Tag ohne Datenbank-Zugang, sagt Weaver, bedeutet für die Sanders-Kampagne Mindereinnahmen bei Spenden von cirka 600.000 Dollar.

Stimmt alles nicht, gibt die Gegenseite zurück, stilisiert sich zum Opfer und geht zum Angriff über. „Sie haben ganz einfach unsere Daten gestohlen“, erklärte Clintons Wahlkampfmanager Robby Mook, „das war kein zufälliger Fehler, das ist echter Skandal.“ DNC-Chefin Debbie Wasserman Schultz sekundiert: Solange der Zwischenfall nicht durch unabhängige Prüfer aufgeklärt ist, steht das Sanders-Lager „aus guten Gründen unter besonderer Beobachtung“.

Am Samstag meldete der Nachrichtensender CNN, dass sich die Verantwortlichen der Sanders-Kampagne und die Führung der Demokratischen Partei geeinigt hätten. Demnach bekommt das Wahlkampf-Team des Clinton-Konkurrenten wieder Zugang zur Wähler-Datenbank.