Berlin. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen, fordert im Interview eine bessere Integration – und lobt Kanzlerin Angela Merkel.

Sie will Spitzenkandidatin ihrer Partei werden und entdeckt in der Flüchtlingskrise neue Gemeinsamkeiten mit der CDU: Die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, erklärt beim Redaktionsbesuch, was sie unter einer multikulturellen Gesellschaft versteht.

Frau Göring-Eckardt, die Bürger nehmen die CDU inzwischen – das zeigen Umfragen – als linke Partei wahr. Schafft die Kanzlerin eine Willkommenskultur für schwarz-grüne Bündnisse?

Katrin Göring-Eckardt: Angela Merkel bleibt in der Flüchtlingspolitik bei ihrer Haltung: Deutschland kann sich nicht abschotten. Das unterstütze ich. Diese Standhaftigkeit – gerade gegenüber der CSU – hat der Kanzlerin niemand zugetraut. In der Mitte der Wahlperiode beantworten wir aber keine Koalitionsfragen. Die Grünen werden nicht mehr den Fehler machen, sich vor der Bundestagswahl auf einen Wunschpartner festzulegen.

Merkel hat beim CDU-Parteitag gesagt: „Multikulti führt in Parallelgesellschaften und Multikulti bleibt damit eine Lebenslüge.“ Erkennen das die Grünen inzwischen auch?

Göring-Eckardt: Das hat Angela Merkel vermutlich gesagt, um die Kritiker in ihrer Partei zu besänftigen. Was verstehen wir denn unter Multikulti? In Deutschland müssen Gesetze eingehalten werden – das gilt für Flüchtlinge genauso wie für Pegida-Demonstranten. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Ich vermute mal, dass Leute wie der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke damit größere Schwierigkeiten haben als viele Flüchtlinge.

Richtig ist: Die Menschen, die hierherkommen, haben einen ganz anderen Hintergrund und ganz andere Erfahrungen. Sie sprechen eine andere Sprache und sind im Durchschnitt religiöser als wir. Natürlich müssen sie die deutsche Sprache lernen. Aber wir werden sie nicht zwingen, säkular oder Christen zu werden. Das wäre ja absurd.

Soll es muslimischen Frauen in Deutschland erlaubt sein, Burka zu tragen?

Göring-Eckardt: Ich bin in der DDR aufgewachsen und hatte ein Kreuz um den Hals, das den Oberen in meiner Schule zu groß war. Es war ein Schmuckstück. Ich durfte aber die Schule nicht betreten, bevor ich dieses Kreuz nicht abgelegt hatte. Aus diesem Erlebnis heraus werde ich jede Frau verteidigen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt. Bei der Burka ist das etwas anderes. Ich wünsche mir von allen Menschen, auch von muslimischen Frauen, dass sie ihr Gesicht zeigen. Aber wir sind ein liberaler, freiheitlicher Rechtsstaat. Ein Verbot der Burka wird nicht möglich sein.

Ob die Integration der Flüchtlinge gelingt, entscheidet sich gerade in Schulen und Kindertagesstätten. Sind sie der Herausforderung gewachsen?

Göring-Eckardt: Ich will nicht, dass wir eine Konkurrenz haben: Kommt jetzt das Flüchtlingskind in die Kita, weil es da frühzeitig Deutsch lernen kann? Oder kriegt das einheimische Kind den Platz, weil es schon bei seiner Geburt angemeldet wurde? Wir brauchen einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Kitaganztagsplatz für alle Kinder. Dieser gilt dann für Flüchtlingskinder genauso wie für deutsche. Viele Kinder kommen erst mit vier oder fünf Jahren nach Deutschland – und einen Rechtsanspruch gibt es bisher nur für unter Dreijährige. Das wollen wir rasch ändern. Bildung ist für die Integration ein extrem wichtiger Punkt. Und die fängt in der Kita an.

Der Ausbau verläuft jetzt schon stockend …

Göring-Eckardt: Deshalb müssen wir mehr in unsere Zukunft investieren. Wir brauchen pro Jahr eine Milliarde Euro für die Kitas. Darüber hinaus benötigen wir eine Milliarde für die Schulen, und auch für den Wohnungsbau brauchen wir eine Milliarde mehr, als Union und SPD bereitstellen wollen. Wir haben das Glück, dass wir gute Steuereinnahmen haben. Deshalb können wir die Aufgabe bewältigen, ohne die Bürger stärker zu belasten.

Eine Einschränkung des Familiennachzugs kommt für Sie nicht infrage?

Göring-Eckardt: Ich finde es hochproblematisch, dass ausgerechnet die Union den Familiennachzug begrenzen will. Der Wert der Familie wird bei den Konservativen sonst immer hochgehalten. Familien zu trennen, passt nicht dazu. Die Konservativen führen ja auch immer die Sicherheit ins Feld. Einige der jungen Männer, die sich auf einer fürchterlichen Flucht nach Deutschland durchschlagen mussten, werden in den Großunterkünften nicht zur Ruhe kommen – und dann kommt es im Zweifel auch zu Aggression. So ehrlich sollten wir sein bei der Lageeinschätzung. Wenn sie ihre Familie um sich haben, funktioniert ihre Integration viel besser.

Die Grünen sind in den Umfragen von der rechtspopulistischen AfD überholt worden. Worauf führen Sie das zurück?

Göring-Eckardt: Die Wählerschaft der Grünen wandert ganz bestimmt nicht zur AfD. Der Zuspruch für diese Partei hat mehr damit zu tun, dass die große Koalition in der Flüchtlingskrise keinen erkennbaren Plan hat. CDU, CSU und SPD haben in den vergangenen Monaten einen chaotischen Eindruck gemacht. Sie haben Vertrauen verspielt und Raum geschaffen für Rechtsextremisten.

Sie haben neulich getwittert, dass Sie verschiedene Ordner für NPD, AfD, Pegida & Co zusammengelegt haben. Fordern Sie konsequenterweise auch ein AfD-Verbotsverfahren?

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Göring-Eckardt: Die Formel „NPD gleich rechtsextrem, AfD gleich rechtspopulistisch“ ist aufgeweicht. Wenn Herr Höcke die AfD noch näher an den rechten Rand führt, hat nicht mehr allein die NPD ein Problem mit ihrer Verfassungstreue. Es ist bezeichnend, dass die Parteichefin Petry diesem Treiben kein Ende setzt. Ich bin keine Freundin von Parteiverboten. Aber die AfD wird man genauer beobachten müssen.

Frau Göring-Eckardt, das nächste Jahr wird für Sie ein besonderes. Die Parteibasis entscheidet, ob Sie Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl werden – und Sie feiern Ihren 50. Geburtstag. Was bedeutet Ihnen diese Zahl?

Göring-Eckardt: Ich freue mich total darauf, 50 zu werden. Das ist ein wunderbares Alter. Man muss nicht mehr alles – aber man kann noch vieles. Ich muss nicht mehr jeder Schuhmode hinterherlaufen und auch nicht mehr in jeden politischen Streit gehen. Ich bin vierfache Großmutter, die Familie wird größer. Ich finde das toll.