Brüssel. Premier David Cameron will Großbritannien über den EU-Verbleib abstimmen lassen. Jetzt soll es Reformverhandlungen mit der EU geben.

Die EU-Partner sind zuversichtlich, sich bis Mitte Februar mit dem britischen Premier David Cameron über dessen Reformforderungen zu einigen. „Ich bin viel optimistischer als vor unserem Treffen“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am frühen Freitagmorgen in Brüssel nach einer mehrstündigen Debatte auf dem EU-Gipfel. Zweites großes Thema war die Flüchtlingskrise – die Union vereinbarte, ihre Außengrenzen besser zu schützen.

Die EU lässt sich auf Reformverhandlungen ein, um einen Verbleib Großbritanniens in der EU zu ermöglichen. Cameron will seine Landsleute bis Ende 2017 in einem Referendum befragen. Spekuliert wird über einen Termin Mitte 2016.

Vorschlag von Cameron stößt auf Widerstand

Der britische Premier stieß vor allem mit dem Plan auf Widerstand, dass zugewanderte EU-Bürger mindestens vier Jahre in Großbritannien gearbeitet haben müssen, bevor sie einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen bekommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach Abschluss des ersten Gipfeltages: „Bei gutem Willen kann man auch hier Wege finden, die den verschiedenen Anliegen gerecht werden.“ Eine Änderung der europäischen Verträge schloss sie nicht aus, mahnte aber ein verantwortungsvolles Handeln an. Der französische Staatspräsident François Hollande lehnte Vertragsänderungen ab.

Cameron zeigte sich ebenfalls zuversichtlich. „Es gibt einen Weg zu einer Einigung im Februar“, sagte er. „Es wird viel harte Arbeit brauchen, aber ich habe heute Nacht viel guten Willen gespürt.“

Der aus Polen stammende Tusk zeigte sich allerdings unnachgiebig bei EU-Grundsätzen wie der Nicht-Diskriminierung: „Wir sind absolut überzeugt, dass wir hart bleiben müssen, wenn es darum geht, rote Linien und fundamentale Werte zu verteidigen.“ Auch Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite warnte am Rande: „Wir können nicht hinnehmen, dass unsere Bevölkerung diskriminiert wird.“

Viele EU-Zuwanderer auf der Insel kommen aus Osteuropa, aber auch aus dem Süden des Kontinents. Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei lehnen daher Einschränkungen bei der Freizügigkeit innerhalb der EU grundsätzlich ab. Hunderttausende Polen leben und arbeiten in Großbritannien. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten, über alle Forderungen Camerons zu verhandeln, um beim nächsten Gipfel im Februar zu einer Vereinbarung zu kommen.

Streit um Stärkung des Grenzschutzes geht weiter

Auch beim anderen großen Thema des Gipfels gibt es Streit: In der Flüchtlingskrise geben die EU-Staats- und Regierungschefs ein deutliches Signal zum verstärkten Schutz der gemeinsamen Außengrenzen. Die Mitgliedsländer wollen sich bis Ende Juni 2016 auf den Ausbau der EU-Grenzschutzbehörde Frontex verständigen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass EU-Grenzschützer notfalls auch gegen den Willen eines Landes eingesetzt werden können, um die Außengrenzen zu schützen. Vor dem Gipfel hatten Länder wie Polen und Ungarn Widerstand signalisiert. Es wird noch mit harten Debatten gerechnet.

„Falls wir die Vorschläge der Kommission zurückweisen, werden wir eine andere, ähnlich schmerzhafte Lösung finden müssen“, warnte Gipfelchef Tusk. „Europa kann nicht verletzbar bleiben, da Schengen-Staaten nicht in der Lage sind, ihre Grenzen zu schützen.“

Merkel hielt in der Runde an ihrer Forderung fest, verbindliche und dauerhafte Verfahren zur Verteilung von Flüchtlingen vor allem aus Syrien zu schaffen. Sie warnte vor überzogenen Erwartungen. „Wir haben das Problem seit vier Monaten oder fünf Monaten. Für manche Sachen haben wir in Europa zehn Jahre gebraucht, so wichtig waren sie. Jetzt müssen wir das ein bisschen schneller lernen.“

Die EU-Chefs wollen auch dafür sorgen, dass die Registrierungszentren für Flüchtlinge in Griechenland und Italien besser arbeiten. Sie fordern auch die ständigen EU-Botschafter auf, sich endlich auf Einzelheiten der Finanzierung von drei Milliarden Euro zu einigen, die an die Türkei zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge fließen sollen.

Die Türkei will den Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien mit einer Visumspflicht bremsen. Diese soll vom 8. Januar an gelten, wie Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in Brüssel ankündigte. Zugleich werde die Tür für Menschen offenbleiben, die klar als Flüchtlinge erkennbar seien, sagte ein ranghoher türkischer Regierungsvertreter in Istanbul. Mit dem Vorstoß reagiere die Türkei darauf, dass über Ägypten und den Libanon immer mehr Leute mit gefälschten syrischen Pässen ins Land kämen.

Türkei hat eine Schlüsselrolle inne

Eine Zusammenarbeit mit der Türkei gilt in der EU als Schlüssel, um den Druck in der Flüchtlingskrise zu verringern. Es ist das wichtigste Transitland auf dem Weg nach Europa. In der Türkei sind bereits rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien untergekommen. Um ihre Situation zu verbessern, will die EU dem Land mit drei Milliarden Euro helfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte in der Flüchtlingsdebatte, die illegale Zuwanderung nach Europa spürbar zu vermindern.

Am Rande des EU-Gipfels versammelte sich der „Club der Willigen“ aus elf europäischen Ländern, die der Türkei Flüchtlingskontingente abnehmen wollen. Zahlen wurden bisher nicht genannt. Davutoglu forderte, die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in EU-Staaten zu beginnen und insgesamt großzügiger vorzugehen.

Bei dem freiwilligen Programm können alle 28 Mitgliedstaaten teilnehmen, aber vor allem die osteuropäischen Länder sperren sich. Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft, die vom 1. Januar an die Amtsgeschäfte der Union führt, wird dazu eine Arbeitsgruppe einsetzen.

Zum „Club der Willigen“ kamen außer Merkel und Davutoglu auch Spitzenvertreter aus Österreich, Luxemburg, Griechenland, Schweden, Belgien, Finnland, Slowenien, Portugal, Frankreich und den Niederlanden. (dpa)