Berlin. Der Innenminister baut eine neue Spezialtruppe für den Kampf gegen Terroristen auf. Er zieht damit die Lehre aus Anschlägen von Paris.

Die Dramatik im Kampf gegen den Terror war kaum zu überbieten. Zwei Tage hatten die Franzosen bereits in einem Ausnahmezustand gelebt. Dann schlugen Spezialeinheiten der Polizei und Soldaten zu. Sie stürmten eine Fabrik im Norden von Paris, wo sich zwei Islamisten nach dem Attentat auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ verschanzt hatten. Zeitgleich drangen Polizisten in einen Supermarkt in Paris ein, wo ein weiterer Terrorist Geiseln genommen hatte. 88.000 Polizisten und Soldaten waren im Januar im Einsatz. So war es auch vor Wochen, am 13. November, als Islamisten erneut in Paris angriffen. Es gab viele Tote. Und die Frage: Waren die Behörden vorbereitet?

Der Terror von Paris gilt europäischen Sicherheitsbehörden als Zäsur im Einsatz gegen Extremisten: schwerbewaffnete Islamisten, Angriffe an mehreren Orten, zeitgleich und über Stunden oder sogar Tage – es waren Angriffe, die deutsche Polizisten nur von Übungen kennen. Und von den Bildern aus Frankreich.

„Wir hatten ja bisher Glück“

Wer mit Beamten spricht, hört manchmal solche Sätze: „Wir wissen nicht, wie gut die deutsche Polizei in solchen Extremlagen agiert. Wir hatten ja bisher Glück.“ Konsequenzen gab es nach dem Terror von Paris dennoch: Bund und Länder in Deutschland rüsteten Sicherheitsbehörden auf – mit Technik und Personal.

Nun legte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach und stellte in Berlin die ersten 50 Beamten der neuen Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei vor: BFE+, „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit plus“.

Bis Ende 2016 sollen 200 Beamte dazustoßen. Sie erhalten Westen, die etwa gegen Treffer einer Kalaschnikow schützen, und auch Waffen, die über die Ausrüstung der gewöhnlichen Polizisten hinausgehen, so etwa das Sturmgewehr G36; dazu gepanzerte Fahrzeuge und Überwachungstechnik. Zudem wurden die Beamten acht Wochen lang in Sankt Augustin bei Bonn fortgebildet. Dort sind die Einheiten der GSG 9 stationiert.

Die Gefahr wird hoch bleiben

Deutschland hat bereits Anti-Terror-Kommandos. Die Einsatzkräfte der „Grenzschutztruppe 9“ kommen bisher zwar nicht nur im Kampf gegen Terroristen, sondern auch gegen die organisierte Kriminalität oder Geiselnehmer zum Einsatz. In Sankt Augustin trainieren ebenfalls Taucher, Scharfschützen und Fallschirmspringer. Aber auch in den Bundesländern operieren Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Ausnahmesituationen.

Der Innenminister hob nun hervor: Die Terrorgefahr werde auf absehbare Zeit hoch bleiben. „Darauf müssen sich die Sicherheitsbehörden einstellen.“ Die BFE+ stärke die Bundespolizei. Die neue Einheit soll nun zum Beispiel der GSG 9 den Rücken freihalten für Geiselbefreiungen und andere robuste Lagen, sagte der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann. Besonders bei länger andauernden oder bei gleichzeitigen Lagen an verschiedenen Orten könne die GSG 9 an die Grenzen einer ausreichenden Einsatzpräsenz kommen, heißt es in der Bundesregierung.

BFE+ unterstützt Polizei der Bundesländer

Stationiert werden Polizisten der BFE+ an mehreren Orten der Republik, etwa in Bayreuth und Uelzen. Auch CDU-Innenpolitiker Stephan Mayer hält den Aufbau der Einheit für richtig. Doch er hebt hervor: „Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Bundespolizei auch bei Terrorlagen die Polizeien der Länder bis auf wenige Fälle nur unterstützt.“ Der Kampf gegen den Terror bleibt vor allem Sache der Spezialeinheiten in den Landesämtern.

Ohnehin bräuchten die BFEler von ihren Standorten im Ernstfall eine gewisse Zeit, bis sie am Anschlagsort in einer deutschen Großstadt wären – selbst mit Hubschraubern. So waren etwa auch beim letzten Anschlag in Paris zuerst zwei Streifenpolizisten am Theater Bataclan und konnten einen Terroristen töten, bevor Spezialkräfte eingriffen.

Experten vermissen einen Notfallplan

Am Aufbau der neuen Einheit gibt es nun auch Kritik. Zwar sei es richtig, die Polizei auf mögliche Szenarien einzustellen, sagte die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, unserer Redaktion: „Es ist jedoch nicht damit getan, neue Einheiten zu bilden.“ Wichtig sei, dass solche Einheiten in ein entsprechendes Einsatzkonzept eingebunden würden. „Darüber haben wir bislang noch nichts gehört.“ Es fehle ein Notfallplan, wie die Polizisten von Bund und Land im Ernstfall zusammenarbeiten, so Mihalic.

Laut Regierung sollen die neuen BFE+-Einheiten weitgehend Handlungsfreiheit im Einsatz erhalten, sich aber mit den Polizeiführern von Bund und Land absprechen. Details nannte der Bund nicht – aus einsatztaktischen Gründen, wie es hieß. Klar ist dagegen: Besteht gerade kein Terroreinsatz – also die allermeiste Zeit –, helfen die Spezialtrupps bei der gewöhnlichen Bundespolizei aus, zum Beispiel bei Demonstrationen oder Fußballspielen.

Gewerkschaften kritisieren, dass Streifenpolizisten und Bereitschaftspolizisten nicht ausreichend mit speziellen Schutzwesten oder zusätzlicher Munition ausgestattet seien. Anders als die neue Eliteeinheit. Die Bundesregierung prüfe derzeit noch, ob sie auch bei den gewöhnlichen Polizisten nachrüsten werde, heißt es auf Nachfrage.

Polizei-Experte sieht keine Notwendigkeit für neue Einheit

Polizeiwissenschaftler Rafael Behr von der Akademie der Polizei in Hamburg hält die neue Truppe nicht für notwendig. „Polizisten sind bereits gut gegen Gewalt geschult“, sagte er. „Es gibt für mich kein Szenario, mit dem die Polizei nicht klarkommen würde.“ Einsatzstrategien seien verbessert und Fehler korrigiert worden – wie nach dem Amoklauf in Erfurt 2002, als Spezialeinheiten vorgeworfen wurde, dass sie zu lange gewartet hätten, bis sie zugegriffen haben. „Seitdem gilt die Devise: zuerst den Täter ausschalten, und zwar für alle Polizisten“, so Behr.

Er hält die Maßnahme des Bundes vor allem für „Symbolpolitik“, die „dem Bürger das Gefühl einer starken Polizei geben soll“. Sinnvoller sei dagegen, die bestehenden Einheiten in Ruhe arbeiten zu lassen, die Prävention kontinuierlich zu stärken und die Ausbildung der Beamten weiterzuentwickeln.