München. Ralf Wohlleben sagte Mittwoch im NSU-Prozess aus: Höchstens indirekt will er an der Beschaffung einer Pistole beteiligt gewesen sein.

Dass Ralf Wohlleben an diesem 251. Verhandlungstag etwas vorhat, deutet sich schon am Morgen an. Seine Frau Jaqueline sitzt neben ihm; dieser Umstand kam, obwohl sie dem Angeklagten offiziell als Beistand zugeordnet ist, bislang nur äußerst selten vor.

Oben, auf der Tribüne, haben sich in der zweiten Reihe einige Neonazis aus Thüringen platziert. Nachdem die für den Tag geladen Zeugen – alles Ermittler, die zu Asservaten befragt werden – an der Reihe waren, meldet sich plötzlich Nicole Schneiders, die Anwältin von Wohlleben. Die beiden kennen sich schon aus alten, gemeinsamen NPD-Zeiten in Jena. Ihr Mandant, sagt Schneiders, wolle seine angekündigte Aussage abgeben, und zwar jetzt und sofort.

Wohlleben erklärt sich für „nicht schuldig im Sinne der Anklage“

Ralf Wohlleben ist im Gefängnis gealtert, im Februar beging er seinen 40. Geburtstag. Seit vier Jahren sitzt er in Untersuchungshaft, vier Jahre schwieg er zu den Vorwürfen gegen ihn. Vor drei Jahren hat ihn der Generalbundesanwalt der Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagt. Er soll zusammen mit seinem Mitangeklagten Carsten S. die Ceska-Pistole besorgt haben, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Menschen erschossen. Seit zweieinhalb Jahren wird Wohlleben und S. neben den anderen Angeklagten in München der Prozess gemacht.

Um es vorweg zu nehmen: Ralf Wohlleben weist fast alle Vorwürfe zurück. Er gibt nur zu, dass er davon wusste, dass Carsten S. eine Waffe beschaffen sollte und dass er die Pistole auch gesehen habe. Am Ende seines Vortrags wird er sagen: „Ich bin nicht schuldig im Sinne der Anklage.“

Wohlleben fährt andere Strategie als die Hauptangeklagte Zschäpe

Bevor Wohlleben beginnt, sagt Anwältin Schneiders, dass ihr Mandant „den dreisten Lügen einiger Zeugen und zweier Mitangeklagter“ seine Sicht der Dinge entgegen stellen wolle. Wohlleben werde selbst reden und danach Fragen aller Prozessbeteiligten beantworten.

Schon hier zeigt sich der erste Unterschied zu der neuen Strategie der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Sie hatte vor einer Woche nur durch ihren neuen Anwalt Mathias Grasel eine Erklärung verlesen lassen. Jetzt will sie nur Fragen des Gerichts beantworten, und dies auch bloß schriftlich.

Der zweite Unterschied: Wohllebens Aussage ist besser vorbereitet. In den fast zwei Stunden, in denen er mit ruhiger, klarer Stimme seine Aussage abliest, geht er zielgenauer auf die Anklage ein. Seine Argumentation, so krude sie zuweilen wirken mag, erscheint in sich geschlossener.

Angeklagter schildert vor Gericht seine schwere Kindheit

Dennoch sind die Parallelen zu Zschäpes Erklärung unübersehbar. Sie beginnen schon mit Wohllebens Schilderungen seiner schweren Kindheit („strenge Eltern“), seiner Zeit im Jugendheim und seinen Schwierigkeiten nach der Wende, eine Ausbildung oder Arbeit zu finden. Er habe nach 1989 versucht, „irgendwie mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen“. Ausführlich redet er über die langjährigen Phasen seiner Arbeitslosigkeit.

Wie zuvor die Hauptangeklagte erzählt er, dass er eher zufällig durch Freunde in die Szene fand und über Konzerte und Musik langsam politisiert wurde. Dass er letztendlich bei den Rechten landete, erklärt er mit seiner Schulzeit. Der „große Nationalstolz“, den er hege, sei „integraler Bestandteil der DDR-Erziehung“ gewesen.

Neonazi Wohlleben will nicht gegen Ausländer gewesen sein

Er habe sich, sagt er, in der rechtextremistischen Szene als „Scheitel“ gefühlt, im Gegensatz zu den eher gewalttätigen Skins. Überhaupt habe er Gewalt stets abgelehnt. Auch gegen Ausländer sei es nie gegangen, selbst bei seinen Freunden nicht. Im Gegenteil: Er habe immer nur gegen die Politik gestritten, „die den massenhaften Zuzug der Ausländer förderte“.

Wie schon viele Zeugen aus Jena schildert er die rechtsextremistische Szene als eine Art Verein freundlicher, aufgeschlossener Patrioten, mit „Zeitungsprojekten“ und „Stammtischen“, bei denen vor allem getrunken wurde. Ständig habe man in Furcht vor der Polizei oder Linksautonomen gelebt, die einem die Autos anzündeten. Dazu lässt er Fotos von den Fahrzeugwracks auf die Wände des Gerichtssaals projizieren.

Seine Freunde von damals bezeichnet Wohlleben als „introvertiert“ (Uwe Böhnhardt), „Schwiegermuttis Liebling“ (Uwe Mundlos), „sehr sympathisch, witzig, schlagfertig“ (Beate Zschäpe). Auch für Carsten S. („lustiger und sympathischer Typ“) findet er zunächst freundliche Worte.

Wohlleben macht V-Mann Tino Brandt für viel verantwortlich

Für die Organisation der Szene macht Wohlleben vor allem Tino Brandt verantwortlich. Wie bei Zschäpe taucht auch in seiner Erzählung der Verfassungsschutz-Spitzel auffällig oft auf. Ob nun „Thüringer Heimatschutz“, „Nationaler Widerstand Jena“ oder NPD: Immer soll Brandt Drahtzieher, Namensgeber und Finanzier in einem gewesen sein.

Nie, sagt Wohlleben, habe ihm Verhalten von Böhnhardt und Mundlos Anlass zu der Vermutung gegeben, dass sie später „schwere Straftaten“ begehen könnten – „schon gar nicht gegen Ausländer, weil die bei uns nie Thema waren“. Bei einem Besuch in der Garage, in der die Polizei später TNT und mehrere Rohrbomben fand, habe er nichts dergleichen gesehen.

Dass Böhnhardt und Mundlos immer radikaler wurden, davon will der Angeklagte wenig mitbekommen haben. Dass sie in braunen Uniformen herumliefen oder offenbar Bombenattrappen in Jena platzierten, habe er nur als „Provokation“ des Staates aufgefasst. Dasselbe gelte für die Aktion, bei der man eine Puppe mit Judenstern an einer Autobahnbrücke aufhängte und an der er seine Beteiligung einräumt.

Wohlleben räumt ein, dass er dem NSU-Trio bei der Flucht half

Auch sonst räumt Wohlleben so manches ein, teilweise. Dass er einen „gewissen Beitrag“ zur Flucht des Trios 1998 leistete, weil er sein Auto zur Verfügung stellte, dass er mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe telefonischen Kontakt hielt, dass er sie dreimal im Untergrund traf. Das Meiste davon gilt durch Zeugenaussagen als belegt.

Wohlleben räumt auch ein, dass Böhnhardt ihn im Jahr 1999 bei einem Treffen in Chemnitz bat, eine Waffe zu besorgen. Er habe dies aber abgelehnt, weil er fürchtete, dass Böhnhardt damit Selbstmord begehen könnte. Auf die Idee, dass Morde an Ausländern geplant seien könnten, sei er gar nicht erst gekommen.

Angeklagter leugnet, die Mordwaffe besorgt zu haben

Und, Wohlleben räumt ein, dass er Carsten S. geraten habe, den Jenaer Szeneladen „Madley“ wegen des Waffenkaufs aufzusuchen. Allerdings sei dieser Tipp ursprünglich von Böhnhardt oder Mundlos gekommen; er habe ihn daher nur weitergeleitet. Wortreich schildert der Angeklagte, wie „erschrocken“ und „verärgert“ gewesen sei, als dann S. mit der Waffe bei ihm in seiner Wohnung auftauchte. „Ich weiß noch genau, dass ich überrascht war, dass ein Schalldämpfer dabei war. Ich habe dann aus Neugier den Schalldämpfer aufgeschraubt.“

Ganz unbeteiligt wirkt das nicht. Doch selbst für den Fall, dass daraus etwas konstruiert werden sollte, hat Wohlleben vorgesorgt. Die Waffe, insinuiert er, habe gar nicht wie eine Ceska-Pistole ausgesehen. Sie sei zu „klobig“ gewesen und hätte einen kürzeren Schalldämpfer als das tschechische Fabrikat besessen. Zudem habe Böhnhardt die Waffe später als „Schrott“ bezeichnet.

Wohlleben sieht sich als unschuldig – und als Opfer des Staates

Auch alles andere, was Carsten S. ausgesagt hatte, nämlich dass Wohlleben ihn ständig angeleitet und auch die nötigen 2500 D-Mark gegeben habe, dementiert der Angeklagte. Eher, sagt er, habe das Geld von Tino Brandt gestammt. Der Verfassungsschutz-Spitzel habe im Übrigen gewusst, wo sich das Trio aufhalte. Dies jedenfalls hätten ihm Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe beim letzten Treffen in Zwickau im Jahr 2001 mitgeteilt.

Kurzum, Wohlleben fühlt sich unschuldig. Er sieht sich, wie Beate Zschäpe, als Opfer des Staates und des Verfassungsschutzes, eingesperrt und getrennt von seiner Frau und seinen zwei Töchtern. Erst im November 2011 habe er, „so wie alle anderen“, von den Morden, Bombenanschlägen und Überfällen erfahren. Er sei „entsetzt“ gewesen, dass Böhnhardt und Mundlos so „kaltblütig“ handeln konnten. Er habe, sagte der Angeklagte, sie doch nur „aus Freundschaft“ unterstützt.

All dies klingt dann wieder sehr nach Beate Zschäpe, die sich ebenso als Opfer der Umstände und ihrer Emotionen gezeichnet hatte. Und so wie sie hat Ralf Wohlleben dann auch für die anderen Opfer am Ende ein paar Worte übrig: „Ich bedauere jede Gewalttat“, sagt er. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl.“