Kairo. Ein Bericht dokumentiert auf bedrückende Weise den Terror des syrischen Assad-Regimes gegen das Volk. Es regieren Folter und Mord.

„Wenn die Toten reden könnten“ – unmittelbar vor dem dritten internationalen Syriengipfel in New York will die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mit seiner neuen Dokumentation auch den Opfern des syrischen Despoten Assad eine Stimme geben.

Jeder zu Tode Gequälte sein einmal ein geliebtes Kind, ein Ehemann, Vater oder Freund gewesen, nach dem Angehörige monate- oder jahrelang gesucht hätten, erklärte Nadim Houry, stellvertretender HRW-Direktor für den Nahen Osten, der den 86-seitigen Bericht über „Massentötung und Folter in syrischen Haftanstalten“ am Mittwoch vorstellte – und zwar in Moskau. Denn Russland steht fest an der Seite des Schlächters Bashar al-Assad, dessen fünfjähriger Bürgerkrieg bisher 300.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Fotos von 6780 Opfern aus den Todesverließen

Das ganze Ausmaß des Horrors kam vor zwei Jahren durch einen abtrünnigen Fotografen des Militärgeheimdienstes von Damaskus ans Tageslicht, der zwischen März 2011 und August 2013 rund 6780 Opfer aus Todesverließen fotografierte und die Aufnahmen außer Landes schmuggelte.

Zu sehen sind zu Skeletten abgemagerte Leichen. Getötete haben flächige, offene Wunden, ihre Oberkörper sind grün und blau geschlagen. Ein Opfer ist von Kopf bis Fuß gerastert mit tiefen Brandwunden. Andere wurden durch Kopfschuss getötet, erdrosselt oder mit Stromstößen hingerichtet. Die Fotos sind nach dem Urteil von HRW „ausreichende Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ des syrischen Regimes.

Auf dem Weg zur Beerdigung der Mutter verschleppt

Neun Monate lang dauerten die Recherchen der internationalen Menschenrechtler zu den Bildern. Es gelang, 27 Tote zu identifizieren, 33 Angehörige zu ermitteln, mit 37 ehemaligen Zellengenossen der Opfer sowie vier Überläufern der berüchtigten Staatssicherheit zu reden.

Ahmad al-Musalmani war 14 Jahre alt und auf dem Weg zur Beerdigung seiner Mutter, als ein Posten Anfang August 2012 an einer Straßensperre auf seinem Handy einen Anti-Assad-Song entdeckte. Der weinende Junge musste aussteigen, während der Minibus mit den anderen Insassen weiterfahren durfte. Noch im gleichen Monat starb Ahmad al-Musalmani, wie das Datum auf seinem Leichenfoto belegt, totgeschlagen von seinen Peinigern.

„Das war der Schock meines Lebens“

Trotzdem wurden seinem Onkel durch dubiose Mittelsmänner aus dem Staatsapparat immer wieder Informationen gegen Geld angeboten. Zweieinhalb Jahre lang ging die Familie jedem Hinweis nach und zahlte insgesamt 16.000 Dollar, bis sie die schrecklich zugerichtete Leiche des Jugendlichen schließlich auf den Fotos des Überläufers entdeckten, die im März 2015 ins Internet gestellt worden waren. „Das war der Schock meines Lebens. Ich habe ihn gesucht, 950 Tage lang gesucht, jeden Tag habe ich gezählt“, erklärte der verzweifelte Onkel, der heute in Jordanien lebt. Auf ihrem Sterbebett habe seine Schwester ihren Sohn unter seinen Schutz gestellt. „Was für einen Schutz konnte ich ihm geben?“

108.000 Dollar Lösegeld für eine Tote

Auch die einzige Frau unter den fotografierten Ermordeten, die Ingenieurstudentin Rehab al-Allawi, wurde im März 2015 von einem ihrer Cousins im Netz identifiziert. Die 25-Jährige arbeitete bei einer lokalen Aktivistengruppe, die in Damaskus Flüchtlingen aus Homs half. Im Januar 2013 wurde sie zu Hause abgeholt und verhaftet. 108.000 Dollar zahlten die Eltern über die Zeit an Militär und Geheimdienst, um ihre Tochter frei zu bekommen – vergeblich.

Eine überlebende Mitgefangene saß drei Wochen lang mit Rehab al-Allawi in einer Zelle der Filiale 215 der Staatssicherheit, danach fehlte von ihr jede Spur. Gestorben ist sie bereits im Juni 2013, drei Monate nach ihrer Festnahme, wie das Datum auf dem Leichenfoto zeigt.

Syrienkonferenz sucht nach politischer Lösung

HRW appellierte an die nach New York reisenden Diplomaten, bei ihrem Treffen die Freilassung von tausenden politischer Gefangener und willkürlich Verhafteter zur Priorität zu machen. Iran und Russland als Verbündete Assads, „tragen eine besondere Verantwortung“, erklärte die Menschenrechtsorganisation. Auch müsse das Bemühen um einen Frieden in Syrien sicherstellen, „dass diese Verbrechen aufhören und dass die Leute, die dieses System gesteuert haben, am Ende für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“.

An der am Freitag beginnenden Syrien-Konferenz in New York wollen Außenminister aus mehr als einem Dutzend Staaten – darunter die fünf UN-Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie auch Deutschland – zusammen mit Vertreter der Vereinten Nationen und der EU die Chancen für eine politische Lösung in Syrien ausloten. Präsident Wladimir Putin hatte erst am Dienstagabend nach einem Gespräch mit US-Außenminister John Kerry in Moskau die Beteiligung Russlands an dem Treffen angeordnet.