Karlsruhe. Seehofer versucht es mit Charme-Offensive auf dem CDU-Parteitag. Bundeskanzlerin Merkel bleibt aber reserviert

Rache ist zwar süß, aber die CDU widerstand der Versuchung. Auf ihrem Parteitag empfing und verabschiedete sie am Dienstag CSU-Chef Horst Seehofer freundlicher als seine Delegierten vor vier Wochen in München die CDU-Kanzlerin. Es lag nicht daran, dass er sich klein gemacht hätte. Er verließ die Karlsruher Messehalle auch nicht durch den Hinterausgang. Vielmehr findet seine Flüchtlingspolitik unter Christdemokraten viel Anklang. Je länger er sprach, desto spürbarer wurde es. Am Ende redete Seehofer länger als erwartet und bot an, die CDU-Wahlkämpfer zu unterstützen, „wenn es gewünscht ist.“

Die CSU rückt von der Forderung nach Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht ab. So hatte sie es in München beschlossen. Um alle Zweifel zu beseitigen, erklärte ihr Vorsitzender: „Ich habe an keiner Stelle gesagt, dass dieser Antrag nicht mehr gültig ist.“ Die CSU hat aber eine Andockstelle, nachdem die CDU in Karlsruhe ihrerseits beschlossen hat, die Zahl der Flüchtlinge „spürbar zu reduzieren“.

Der CSU-Chef warnt vielsagend, 2016 werde nicht einfacher

Die Bevölkerung interessiere allein die Frage, „ob es uns gelingt“, sagte Seehofer, „nicht irgendwann, sondern in überschaubarer Zeit“. Deswegen werde das Jahr 2016 nicht einfacher. Das kann die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel durchaus als Warnung verstehen. Seehofer hat dann fünf Zahlen genannt: 5193, 5434, 3877, 4238, 4486. Sie markieren die Zugänge der Flüchtlinge in den vergangenen fünf Tagen. „Ich sage ihnen, wenn diese Entwicklung weitergehen würde, dann hätten wir im nächsten Jahr noch mehr Flüchtlinge.“ Und er sage das nicht „als Kassandra“.

Die Flüchtlingswelle sei zwar eine historische Angelegenheit, eine Herausforderung, da stimme er mit „Angela“ überein, aber als Politiker müssten sie immer auch „ein Seismograph der Lebenswirklichkeit“ sein. „Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber der einheimischen Bevölkerung.“ Auf die Bevölkerung hat der CSU-Chef in seiner 50-minütigen Rede immer wieder Bezug genommen. Denn: „Abgerechnet wird politisch am Ende über die Zahl der Flüchtlinge.“ Auch wiederholte er das Uranliegen der CSU, dauerhaft rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei entstehen zu lassen. „Die Rechten bekämpft man nicht mit dumpfen Parolen“, sondern nur dadurch, dass man die Probleme und Anliegen der bürgerlichen Bevölkerung löse, nicht schiebe oder verwalte. Die Betonung liegt auf „lösen“.

Kleine Spitzen gegen Merkel

Es waren Sätze voller Ungeduld – und mit manchen Spitzen: „Ich sage immer, Realität schafft Zustimmung.“ Einmal bemerkte er am Beispiel der Balkanländer, die als sichere Herkunftsstaaten eingestuft worden sind, dass „kluge nationale Maßnahmen sehr wohl ihre Wirkung entfalten“. Auch das kann man als Spitze gegen Merkel verstehen, die in erster Linie darauf setzt, die Flüchtlingskrise mit Hilfe der EU und der Türkei zu lösen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die „hehren Ziele, die wir haben“, werde man nicht ohne Begrenzung, Rückführung, Reduzierung der Flüchtlinge erhalten, setzte Seehofer nach.

Merkel befand gleichwohl, dass der Parteitag „uns allen gut getan hat“. Zumal im Kontrast zur SPD, die in der vergangenen Woche auf einem Parteitag ihren Chef abgestraft hatte. Unionsfraktionschef Volker Kauder glaubt, dass die Sozialdemokraten „ganz offensichtlich“ einen Kanzlerkandidaten suchen. CDU-Politiker wie der thüringische Landeschef Mike Mohring staunen selbst darüber, wie sich die Verhältnisse gedreht haben. Noch vor einer Woche galt die SPD als Anker der Stabilität, die Union als Unruheherd in der Koalition.

Auch Seehofer war mit der Union im Allgemeinen und mit sich selbst im Besonderen zufrieden. Anfangs, als er die Halle betrat, wurde er zwar verhalten begrüßt, „für meine Verhältnisse ein sehr freundlicher Empfang“, scherzte er. Aber mit jedem Satz stimmte er die 1000 Delegierten versöhnlicher.

Nur wenig Applaus nach einer kleinen Charmeoffensive

Auf München ging er mit wenigen Sätzen indirekt ein. Damals hatte Merkel sich auf offener Bühne stehend anhören müssen, was Seehofer an ihrer Rede missfiel. In Karlsruhe nahm er darauf Bezug und sagte, „ich wollte gar nicht Platz nehmen“. Nachdem er doch auf der Vorstandsbühne Platz genommen hatte, las er den Pressespiegel; der sei so positiv für Merkel, wie es ihm in seiner Karriere „nie vergönnt war“.

Trotz dieser kleinen Charmeoffensive fiel der Applaus für ihn mäßig aus, verhalten auch der Dank. Wobei ihm Merkel ersparte, ihrerseits auf offener Bühne seine Rede zu bewerten. Es dürfte allerdings seine Zeit brauchen, den Bruch zu kitten. Dass sie nichts vergessen hat, zeigte sich bei einer Szene am Ende des Auftritts. Seehofer stand auf der Bühne, bedankte sich für den Applaus und signalisierte ihr verstohlen mit der Hand, zu ihm zu kommen. Sie muss es mitbekommen haben, blieb aber sitzen. Erst als der CDU-Landeschef Guido Wolf zu Seehofer eilte, stand die Kanzlerin auf zum Gruppenfoto mit Seehofer. Merkel ließ sich zweimal bitten. Das musste sein.