Aiken. Donald Trump stillt mit Rechtspopulismus die Sehnsucht nach schlichten Lösungen. Sein anfangs belächelter Wahlkampf bekommt Konturen.

Dass sie Jibril Hough in der Turnhalle der Universität von Aiken im US-Bundesstaat South Carolina nicht grün und blau prügeln an diesem Dezember-Samstag, ist ein kleines Wunder. Mit roten, von Hass verzerrten Gesichtern und geballten Fäusten buhen Dutzende der überwiegend älteren, weißen Männer und Frauen den blassen Muslim mit der Häkelmütze aus dem Saal. Hough hat es kurz vorher zum dritten Mal gewagt, mit anderen linken Aktivisten den Wahlkampf-Auftritt Donald Trumps in dem 40.000-Einwohner-Städtchen nahe der Atomwaffenfabrik Savannah River Site zu unterbrechen. „Flüchtlinge sind willkommen“, rufen sie und „Nicht alle Muslime sind Mörder“. Der Spuk ist im Armumdrehen vorüber. Polizei und Ordner führen die Störer unter dem Gejohle der gut 4000 Besucher ab wie Verbrecher. Und dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten mit der knallroten Krawatte vorn auf der Bühne huscht wieder dieses von Genugtuung genährte Grinsen übers solariumbraune Gesicht.

Trumps von 99 Prozent der republikanischen Partei als schädlich und verfassungsfeindlich bezeichnete Forderung nach einem pauschalen Einreise-Verbot für Muslime ist nach dem islamistisch motivierten Massenmord von San Bernardino in South Carolina absolut gesellschaftsfähig. Seit Juli führt der 69-Jährige die Umfragen hier beständig an. Und je lauter die Kritik an Trump wird, desto enger schließen sich seine Anhänger mit fast religiöser Inbrunst um ihn. „Einfach nur gesunden Menschenverstand“ nennt Connor McGraven, ein Landwirt, der im Vietnam-Krieg ein Auge verloren hat, den „überfälligen Bann gegen Leute, von denen wir nicht wissen, wer sie sind“.

Viele fühlen sich von Politik, Wirtschaft und Medien betrogen

Auch Susan Humphreys kann dem Plan etwa abgewinnen. Die 71-Jährige hat 36 Jahre die Schul-Bücherei der größten Highschool in Aiken geleitet. Eine besonnene, belesene, politisch unabhängige Frau, der Hurra-Patriotismus nach eigenem Bekunden fremd ist. „Seit den Attentaten von Paris habe ich aber Angst“, sagt sie. Ob Trumps Rezept zur Stärkung der nationalen Sicherheit förderlich ist, will Humphreys „nicht beurteilen“ und ihr Baptisten-Glaube hat mit „einigen harschen Äußerungen Probleme – aber er sagt wenigstens, wie es ist“. Sagen, wie es ist. Eine Formulierung, die in Aiken Hochkonjunktur hat. Viele fühlen sich betrogen. Von „der Politik“. Von „der Wirtschaft“. Von „den Medien“.

Sieben Monate ist es her, dass Donald Trump auf der Rolltreppe eines zu seinem Immobilien-Imperium gehörenden Wolkenkratzers in New York die Kandidatur für das höchste Staatsamt verkündete. Amerika hat sich seither verändert. Noch hasserfüllter, noch zerrissener, noch unvereinigter ist das Land geworden. Wegen Trump. Mit beinhartem Rechtspopulismus, ehrabschneidenden Spitzen gegen Andersdenkende und radikal einfachen Slogans („Amerika wieder groß machen“) sammelt der medial versierte Unternehmer haufenweise politik- und politikerverdrossene Wähler ein und hält die Konkurrenz von Marco Rubio bis Jeb Bush in Umfragen zweistellig auf Abstand. Seine Anwartschaft auf die republikanische Bewerbung für das Weiße Haus, anfangs als aussichtslos belächelt, bekommt Konturen. Sechs Wochen vor der ersten offiziellen Vorwahl im Bauern-Bundesstaat Iowa geht Donald Trump am Dienstagabend in Las Vegas als haushoher Favorit bei CNN in die letzte Fernsehdebatte des Jahres.

„Ich werde ihn hundertprozentig wählen“, verspricht Trump-Fan Faye McNair.
„Ich werde ihn hundertprozentig wählen“, verspricht Trump-Fan Faye McNair. © Dirk Hautkapp | Dirk Hautkapp

Wer das verstehen will, muss Menschen wie Faye McNair fragen. Die 68-Jährige aus Harrisburg im Nachbarbundesstaat Georgia hat sich für die Show in Aiken mit Trump-Stickern und Aufklebern ausstaffiert wie eine Litfaßsäule. Jedes Wort, das „The Donald“ wie ein Torpedo gegen Präsident Obama und das verhasste Washington lenkt, feiert die Rentnerin wie eine Befreiung. „Ich werde ihn hundertprozentig wählen“, sagt sie dieser Zeitung, „denn er ist kein Politiker. Politiker sind Lügner. Nur Donald Trump wird uns unser Land endlich zurückgeben.“ Wer es in der Zwischenzeit an sich gerissen haben mag, sagt sie nicht.

Trump-Gerede frommt der Einschaltquote

Was Trump dem als Moderator fungierenden Generalstaatsanwalt von South Carolina mitzuteilen hat, kennt man aus den Endlosschleifen der Fernsehsender. Sie übertragen jeden Mucks von ihm, weil es der Einschaltquote frommt: Die große Mauer gegen Einwanderer aus Mexiko. Die Abschiebung von Millionen Illegalen. Die Rodung der Bürokratie. Der Rausschmiss von Steuervergeudern. Die Streichung von Behörden und Gesetzen, die der Freiheit im Weg stehen. Die Eindämmung der Banken. Die Abschaffung von Obamas Krankenversicherung. Die Bewahrung der Waffengesetze. Der Kampf gegen den Terror und andere böse Mächte von China bis Russland. Und zuletzt das Stoppschild für Muslime.

Wie so oft plaudert Trump im Singsang eines Theken-Monologs nach dem vierten Bier. Viele Wiederholungen. Nicht alles ergibt einen Sinn. Aber der Mann hat ein wölfisches Bauchgefühl dafür, was die Leute erreicht. Amerika – ein „Desaster“, eine „Schande“. Ich, Donald: bärenstark. Alle anderen: Nieten und Schwächlinge. Wie in einem Dialog zwischen Tarzan und Jane bedient Trump die Sehnsucht nach schlichten Lösungen. Das Resultat sind donnernder Beifall und beseelte „Amen!“-Rufe.

In Wahrheit ist Donald Trump ein dünnhäutiger Narziss, den jede Coolness verlässt, wenn Ungemach droht. Aber das erfahren die Zuhörer in Aiken erst am Tag danach. Als die führende Zeitung in Iowa, der „Des Moines Register“, meldet, der texanische Senator Ted Cruz sei in einer Umfrage sensationell deutlich an Trump vorbeigezogen, lässt der Machtmensch seine 4,7 Millionen Twitter-Abonnenten wissen: Alles getürkt. Alles voreingenommen.

„Gerede von Massenbewegung für Trump ist Illusion“

Dass die schweigende Mehrheit, der sich Trump als Sprachrohr andient, ihm das Schwadronieren in Superlativen ohne Nachfragen durchgehen lässt („Amerika wird so groß und so wunderbar wie es noch nie war“), bringt das etablierte Republikanertum um den Schlaf. „Niemand weiß ein Gegenmittel“, sagte der konservative Stratege Frank Luntz, „jede Kritik macht ihn nur noch stärker.“ Intern hält man sich bei der „Grand Old Party“ damit über Wasser, dass die Hälfte der Wahlberechtigten noch gar keinen großen Gedanken an die Kandidatenkür verschwendet hat. „Das Gerede von einer Massenbewegung für Trump ist Illusion. Wenn 30 Prozent für ihn sind, haben sich 70 Prozent noch nicht entschieden“, sagen Berater in Washington.

Aber das kann noch kommen. Gewinnt Trump nach dem am 1. Februar beginnenden Vorwahl-Marathon die Mehrheit der Delegierten und damit beim Krönungsparteitag im nächsten Juli in Cleveland die Nominierung, so lautet die gängige Überzeugung, ist der Einzug Hillary Clintons ins Weiße Haus besiegelt. Zu viele demografisch relevante Wählergruppen – Frauen, Latinos, Schwarze, Behinderte, Liberale – habe Trump so massiv verprellt, dass ein Erfolg der Demokratin kaum noch zu verhindern ist. Faye McNair hält das für einer Verschwörungstheorie. „Donald Trump wird unser nächster Präsident.“