Jahnsdorf. Ein Mob in Jahnsdorf greift einen Bus mit Migranten an – und in einer sächsischen Schule verletzen Achtklässler mehrere Kinder.

Vielleicht ist es gut, einen Text über Jahnsdorf im Dezember 2015 mit einem Zitat von Detlef Voigt zu beginnen. Immerhin ist der Mann seit 30 Jahren der Leiter des Sportlerheims Leukersdorf in Jahnsdorf, hier wird gekegelt, es werden Tore geschossen und am Abend sitzt man bei einem Bier zusammen. Wenn außerdem Jahnsdorfs Bürgermeister am Tag eines Anschlags nicht zu erreichen ist, dann ist es doch gut, wenn einer wie Detlef Voigt diesen Satz sagt: „Bei uns sind alle willkommen, wir als Kneipe sind neutraler Boden.“ Zu ihm in die Sportgaststätte kommen alle Jahnsdorfer, die Befürworter des Flüchtlingsheims und die Gegner – auch die Flüchtlinge könnten kommen. „Bei uns traut sich keiner, eine Stimmung zu machen, hier wird diskutiert.“

Doch genau das ist das Problem, dass eben in Jahnsdorf nicht mehr nur diskutiert wird. Am Donnerstagabend gegen 7 Uhr knallte es laut im Ort. Die Polizei sagt später, dass etwa 30 Menschen einen Bus mit Asylsuchenden an der Ankunft in einer Flüchtlingsunterkunft hindern wollten. Das Operative Abwehrzentrum der Polizei (OAZ) spricht von einer „aggressiven Stimmung“ und „schweren Ausschreitungen“. Drei bis sechs Täter hätten aus der Gruppe heraus Steine geworfen und Böller angezündet. Scheiben gingen zu Bruch, der Busfahrer wurde am Fuß verletzt und die Menschen im Bus seien so verängstigt gewesen, dass sie in eine andere Unterkunft gebracht wurden.

Der erste Bus konnte noch ungestört zur Unterkunft gelangen

Jahnsdorfs Verwaltungsleiter Albrecht Spindler (parteilos) ist am Tag nach dem Anschlag Ansprechpartner für all jene, die mehr wissen wollen aus Jahnsdorf. „Wir sind zunächst entsetzt, dass es in Jahnsdorf überhaupt dazu gekommen ist.“ Der Bürgermeister Carsten Michaelis (CDU) habe in drei Gemeindesitzungen das Gespräch gesucht, es wurde ein runder Tisch eingerichtet und am Sonnabend konnten alle Jahnsdorfer bei einem Tag der offenen Tür das Heim besuchen. „Es hat Gegendemonstranten gegeben, aber die waren bisher immer friedlich.“

Darauf war Spindler bisher immer stolz und er äußert zudem Zweifel, ob die Angreifer überhaupt aus Jahnsdorf kommen. „Noch kann das die Polizei nicht bestätigen.“ Es klingt, als mache er sich ernsthaft Sorgen um das Image seines kleinen Ortes.

Jahnsdorf ist ein rund 800 Jahre alter Ort südwestlich von Chemnitz, 5500 Einwohner, die Autobahn A72 durchtrennt den Ort. Auf der Ostseite der Autobahn steht ein Flugplatz, direkt beim Tower sollten vier Wohnburgen für rund 140 Flüchtlinge aufgebaut werden. Die erste Wohnburg wurde gerade eröffnet, und am Donnerstagmittag gegen zwei Uhr kam der erste Bus, dessen 37 Insassen noch friedlich in die Unterkunft einziehen konnten. Erst bei der Ankunft des zweiten Busses am Abend dann griff der Mob ein.

Achtklässler greifen Kinder von Flüchtlingen in Oberschule an

Der Anschlag kommt zu einer Zeit, in der aus Sachsen immer wieder derartige Vorfälle gemeldet werden. Erst am Donnerstag war bekannt geworden, dass sich an der Pestalozzi-Oberschule in Wurzen (Landkreis Leipzig) seit Wochen die Übergriffe auf Kinder aus Flüchtlingsfamilien häufen. Deutsche Achtklässler hätten die Schüler der DaZ-Klassen (Deutsch als zweite Fremdsprache) bespuckt, mit Steinen beworfen, geschubst und in einer Tür eingeklemmt. Die betroffenen Flüchtlingskinder werden derzeit von ihren Eltern nicht in die Schule geschickt. „Es muss nachdenklich stimmen“, sagt Polizeisprecher Andreas Loepki“, wenn Lehrer zu der Einschätzung gelangen, Gespräche mit den Eltern der Angreifer für nicht zielführend zu halten.“

Sowohl Wurzen als auch Jahnsdorf liegen in Sachsen, dem Bundesland, das innerhalb eines kurzen Zeitraums zur Hochburg der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte wurde. Bis Ende November wurde fast ein Viertel aller 2015 registrierten Brandanschläge auf Asylunterkünfte in Sachsen verübt. Das berichtet die Informationsplattform Mediendienst Integration und beruft sich dabei auf Daten der Polizei und von Opferberatungen. Insgesamt wurden demnach 459 Angriffe verschiedener Art auf Flüchtlingseinrichtungen registriert. Sachsen liegt auch hier mit 126 Vorfällen an der Spitze. Am bekanntesten wurde die Stadt Heidenau bei Dresden, wo Steine und Flaschen gegen Flüchtlingsbusse flogen. Aber auch in Freiberg und Meerane wurden erst im Oktober Flüchtlinge an der Weiterfahrt gehindert.

Die Bürger fühlen sich nicht alle von der Politik mitgenommen

Detlef Voigt, der Leiter des Sportlerheims Leukersdorf in Jahnsdorf, wohnt auf der Westseite der Autobahn, aber was auf der Ostseite passiert, wird auch ihn noch lange beschäftigen. Er wird auch etwas nachdenklich. „Vielleicht entlädt sich hier in Jahnsdorf auch ein Frust, den Politiker in Berlin verursacht haben.“ Man hätte von Anfang an die Bevölkerung noch mehr mit ins Boot holen sollen. Verwaltungsleiter Albrecht Spindler sagt, dass sei durch die vielen Veranstaltungen doch versucht worden.

Eine dritte Anwohnerin, die anonym werden will, sympathisiert mit dem sogenannten Helferkreis Jahnsdorf. Das ist eine lose Gruppe, die sich über das Internet versammelt hat und versucht, den ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Sie erzählt von dem Tag der offenen Tür beim Flüchtlingsheim am Sonnabend. Da stand einer der Leiter des Helferkreises zusammen mit einem Vertreter der „Jahnsdorfer Patrioten“, den Gegnern des Heimes. Die beiden hätten eine Bratwurst gegessen, ganz friedlich geredet.