Berlin. Ein früherer Schach-Weltmeister kann auch sehr emotional sein: Garri Kasparow lieferte sich in Berlin ein Wortgefecht um „Fucking Putin“.

Der mehrfache Schach-Weltmeister und politische Aktivist Garri Kasparow stellte am Donnerstagabend sein neues Buch in Berlin vor. Zum Schluss gab es einen Eklat: Zwei junge Männer beschimpften ihn, und er wehrte sich.

In seinem jüngsten Werk „Warum wir Putin stoppen müssen“ übt Kasparow Opposition aus der Ferne – und das deutlich. So sagte Kasparow in der ESMT European School of Management and Technology im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude, zur Zeit des Kalten Krieges hätte es entschiedenere Maßnahmen gegen ein zu großes Machtstreben Russlands gegeben: „Diktatoren wie Putin haben den animal instinct. Riechen sie Blut, haben sie noch mehr Hunger. Wittern sie Stärke, weichen sie zurück.“ Von der Mehrheit des Publikums, darunter viele russischsprachige Besucher, erhielt er Applaus. Doch nicht alle unterstützten am Donnerstagabend Kasparows Thesen. Auf Twitter war zu lesen, die „Ratte Kasparow“ sei in Berlin. Es sei zu hoffen, er finde „in seinem Wasser etwas, was ihn zum Leuchten bringe“. Das kann eine Anspielung sein auf hochradioaktives Polonium. Der frühere KGB-Spion und Putin-Kritiker Alexander Litwinenko war 2006 in London mit dem Gift in seinem Tee getötet worden.

Im Audimax stand ein 28-jähriger Jura-Student aus Potsdam auf und beschimpfte Kasparow als „Brandstifter und Extremist“, der keine Ahnung von Russland habe. Er selbst sei in Russland geboren und könne das beurteilen. „Dort teilt nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung Ihre Meinung.“ Und ein anderer junger Mann warnte Kasparow lautstark, er werde ihn beim Verfassungsschutz melden, weil er zum „Nuklearkrieg“ aufrufe.

Kasparow vermutet in Kritiker Ost-Berliner

Sichtlich angefasst, aber auch kämpferisch ging Kasparow zum Pult und fragte diesen Mann, woher er komme. Als der Mann „Berlin“ antwortete, hakte Kasparow nach: „Aus welchem Teil?“ Die Antwort „Osten“ schien Kasparow erwartet zu haben. Er habe damit gerechnet, anders als in den USA „auf solche Leute“ zu treffen. Beiden Männern schleuderte er entgegen, es ginge ihm bei seinem Buch nicht um „Fucking Putin“, „es geht mir um mein Land. In dem noch meine Mutter und mein Sohn leben.“

Seit seinem Ausscheiden aus dem Sport 2005 engagiert sich Kasparow in der russischen Opposition. Seit 2013 lebt der Russe mit seinen Kindern und seiner Frau in den USA und Kroatien. Sein drastisches Urteil über Russland: „Ein Mafiastaat, in dem Putin der capo di tutti i capi [Boss der Bosse, Anm. d. Red.] ist, hat sich von einer ideologisch agnostischen Kleptokratie in ein Regime verwandelt, das sich unverhohlen faschistischer Propaganda und Taktiken bedient.“

„Westen ist Russland weit überlegen“

Bei der Buchpräsentation sagte er, dass er beim Westen den „politischen Willen“ vermisse, Putin zu stoppen. Dabei seien die westlichen Länder Russland militärisch und technisch weit überlegen. Eine Politik des „Appeasements“ führe nur zu mehr Stärke Putins. Er warnte vor dessen aggressiver Außenpolitik. Denn nichts anderes sei passiert nach der Annexion der Krim und dem russischen Eingreifen in der Ostukraine. Der Westen müsse Putins Russland eindämmen, nicht einbinden. Auch nicht bei der Lösung des Syrien-Konflikts. Mit dem Begriff „Appeasement“ bezieht sich Kasparow auf den britischen Premierminister Neville Chamberlain, der 1938 beim Münchner Abkommen die Annexion Tschechiens durch die Deutschen toleriert hatte, um einen Krieg in Europa abzuwenden.

Zum Schluss der Präsentation signierte der frühere Schachweltmeister noch Bücher. Es gab eine lange Schlange.