München. Patente auf Gene und Pflanzen sind umstritten. Jetzt wurde erneut ein solches Patent bestätigt – auf eine wasserarme Schrumpeltomate.

Gemüse landet normalerweise im Kochtopf. Und Tomaten dienen bei Auseinandersetzungen gemeinhin maximal als Wurfgeschoss. Hier aber ist eine Tomate selbst der Stein des Anstoßes. Die sogenannte Schrumpeltomate mit wenig Wasser sorgt wie auch der angeblich besonders gesunde Super-Brokkoli für heftige politische Auseinandersetzungen. Auf beide konventionell gezüchtete Pflanzen hat das Europäische Patentamt (EPA) Patente erteilt. Am Dienstag entschied die Technische Beschwerdekammer der Behörde, dass nach dem Patent auf den Brokkoli auch das auf die Tomate weitgehend Bestand haben soll.

Gegner kritisieren einen Ausverkauf der Lebensmittelerzeugung und verlangen ein Einschreiten der Politik. „Die Pflanzenzüchtung gerät in die Abhängigkeit großer Konzerne“, sagt Christoph Then, Sprecher der internationalen Koalition „No Patents on Seeds“. Das Patentrecht werde missbraucht – mit dem Ziel, die Kontrolle über die Grundlagen der Ernährung zu erlangen.

Die wasserarme Tomate soll besser zu Ketchup verarbeitet werden können. Ursprünglich hatte der niederländische Konzern Unilever Einspruch gegen das Patent eingelegt, das vor mehr als zehn Jahren in Israel beantragt wurde. Die Technische Beschwerdekammer der Behörde entschied am Dienstag aber, dass das beantragte Patent (EP1211926) mit veränderten Wortlaut endgültig erteilt werden soll. Das Patent umfasst nun die besondere rosinenartige Tomate, die länger am Strauch hängt und dabei schrumpelt, ohne zu verderben, jedoch nicht das Züchtungsverfahren.

Keine Patentierung auf Züchtungsverfahren

Für den Super-Brokkoli namens Beneforté hatte die Kammer das Patent bereits im Herbst bestätigt. Er soll mit hohem Anteil an Glucosinolaten vor Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen schützen und wird in England schon in Supermärkten angepriesen.

Die Grundsatzentscheidung zu Tomate und Brokkoli (EP1069819) hatte im März auf höchster EPA-Ebene die Große Beschwerdekammer getroffen. Anders als bei gentechnisch veränderten Organismen verbieten das Europäische Patentübereinkommen und die Bio-Patentrichtlinie die Patentierung von Züchtungsverfahren.

Ansprüche auf daraus resultierende Pflanzen sowie Saatgut sind der Großen Beschwerdekammer zufolge aber zulässig, wenn sie Kriterien wie Neuheit und erfinderischer Tätigkeit genügen. „Ein Erzeugnis, das aus einem nicht patentfähigen Verfahren hergeleitet wird, kann durchaus patentfähig sein“, sagt EPA-Pressesprecher Rainer Osterwalder.

Gegner halten Zustand für absurd

Die Gegner sprechen von einer inakzeptablen Entscheidung und warnen vor weitreichenden Folgen für Landwirtschaft und Verbraucher. Auch das Bundesjustizministerium ist keineswegs glücklich. Die Große Beschwerdekammer habe anders als der deutsche Gesetzgeber entschieden, erläuterte das Ministerium. Das deutsche Recht schließe derartige Patente seit 2013 aus. Aber: „Die Bundesregierung sieht derzeit keine Möglichkeit, über den Verwaltungsrat des EPA auf eine Beendigung der Patenterteilungspraxis auf aus konventionellen Zuchtverfahren gewonnene Pflanzen und Tiere hinzuwirken.“

Then hält es für „nicht sehr glaubhaft“, dass das Ministerium derzeit nichts gegen die Patentierung konventioneller Züchtung tun könne. „Das deutsche Patentgesetz wurde ja bereits verändert und der Bundestag fordert seit Jahren quer durch alle Parteien, dass diese Patente gestoppt werden.“ Osterwalder wiederum betont, das EPA habe praktisch keinen Spielraum. „Die Große Beschwerdekammer legt das Recht nur aus. Wir sind gehalten, das Patent zu erteilen.“

Gegner sprechen von einem „absichtlich herbeigeführten Zustand rechtlicher Absurdität“. Denn je umfangreicher und genereller die Ansprüche formuliert sind, desto höher sind die Chancen auf ein Patent – es muss ja über den Einzelfall hinaus anwendbar sein.

Vorwurf der „Biopiraterie“

Patente sollten doch neue Erfindungen schützen, argumentiert das private Umweltinstitut München. „Tomaten und Brokkoli werden aber schon seit mehr als 2500 Jahren kultiviert.“ Und Züchtung gehört seit jeher dazu.

Mehr als 2000 Pflanzenpatente hat das EPA seit 1995 erteilt. Rund 75 betreffen laut EPA die konventionelle Züchtung: etwa eine besonders robuste Paprika-Sorte, Sojabohnen, die sich an Klimazonen anpassen können, und Melonen, die ursprünglich aus Indien stammen. EPA-Entscheidungen hätten Verbote im europäischen Patentrecht ausgehöhlt, sagt Then. „Es ist eine Art von Biopiraterie. Man macht mit etwas ein Geschäft, das natürlich vorkommt.“

Berlin wolle auf Änderungen des europäischen Rechtsrahmens hinwirken, heißt es im Justizministerium. Einfach werde das nicht. Man warte den Bericht einer EU-Expertengruppe ab. „In den meisten Mitgliedstaaten ist die Meinungsbildung dazu noch nicht abgeschlossen.“ (dpa)