Berlin. Der Berg an Asylanträgen wächst und wächst. Die Kritik deshalb geht aber längst nicht mehr nur an die Asylbehörde BAMF und deren Chef.

Vermutlich erging es vielen wie Jörg Radek. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) nahm bislang an, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in der aktuellen Krise rund um die Uhr und am Wochenende im Einsatz ist – „genau wie wir Polizisten“. Eine Fehlannahme, wie sich herausgestellt hat. Seit das klar ist, hagelt es Kritik am Flüchtlingsamt, vor allem aus den Ländern. Am pointiertesten äußerte sich NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD): „Akten kann man liegen lassen, Menschen nicht.“

Für „möglich“ und „zumutbar“ hält auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Wochenendarbeit beim Flüchtlingsamt, „es gibt Gespräche darüber“. Für Gewerkschafter Radek wäre das „ein wichtiges Signal“ gegenüber allen anderen, die rund um die Uhr arbeiteten: für Polizisten, Soldaten, Hilfsdienste und ehrenamtliche Helfer.

Seehofer greift den Bund an und verteidigt Behördenchef Weise

Bis November sind fast 965.000 Flüchtlinge eingereist, wie das Innenministerium am Montag mitteilte. Damit hat vor einem Jahr keiner gerechnet, das BAMF wurde quasi überrannt. Der Bund war nicht in der Lage, die Behörde kurzfristig so zu verstärken, dass sie Schritt halten konnte; mehrfach musste er seine Prognosen nach oben korrigieren.

„Wir können Hochwasser meistern“, analysiert der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), doch sähe man kein Land, wenn eine solche Herausforderung über längere Zeit bliebe. Er frage sich, ob die Behörden „für einen solchen Fall richtig aufgestellt sind“. Wie überfordert sind die Krisenmanager?

Martin Schulz greift de Maizière an

Für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ist die Schuldfrage geklärt: „Hier ist niemand anders gefordert als die Bundesregierung“, betonte er am Montag. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) teilte aus: Der Innenminister habe es „seit Jahren trotz der Klagen aus Ländern und Kommunen nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass die Verwaltungsvorschriften umgesetzt und die Asylanträge zügig bearbeitet werden“, sagte er der „Welt“. De Maizière müsse umsetzen, was die Regierung beschlossen habe, „dann laufen die Dinge auch besser“, so Schulz.

Länder und Kommunen sorgen dafür, dass jeder Neuankömmling verpflegt und untergebracht wird. Vom Bund erwarten sie, dass er dann aber auch für geordnete, zügige Verfahren sorgt. Hatten Union und SPD nicht im Koalitionsvertrag als Bearbeitungszeit für die Asylverfahren drei Monate vorgegeben? Von dem Ziel sind sie weit entfernt. Zuletzt gelang es, die Frist von sieben auf fünf Monate zu verkürzen. Seit Frank-Jürgen Weise im September die Leitung des BAMF übernahm, hat sich einiges gebessert: Mehr Personal, bessere Computer. „Seit Weise da ist, bekommt das Amt die Ressourcen, die es schon in den Monaten zuvor dringend benötigt hätte“, sagt ein Insider, „das macht er gut“.

Seehofer: Weise kann nichts dafür

Aktuell hat das BAMF 3300 Mitarbeiter. Für 2016 sind sogar 4.000 neue Stellen bewilligt. Die müssen erst eingestellt, geschult, eingearbeitet werden. Erst im Mai wird es so weit sein, dann dürfte das BAMF in der Lage sein, 80.000 Anträge im Monat zu bearbeiten, was dem derzeitigen Bedarf entspricht. Aktuell arbeitet das Amt 1600 Anträge am Tag ab. Bei 21 Arbeitstagen kommt man auf 33.000 bis 34.000 Fälle im Monat. Und so wird von Tag zu Tag der Antragsstau größer. Man geht von 500.000 Menschen aus, die darauf warten müssen, einen Asylantrag zu stellen. Wer heute die Grenze passiert, bekommt frühestens im Juni einen Termin beim BAMF. Hinzu kommen 350.000 Altfälle, die liegen geblieben sind. „Eine sehr, sehr trübe Angelegenheit“, klagt Seehofer. Er hält Weise aber nicht für überfordert: „Der kann nichts dafür, dass über Jahre diese Behörde nicht richtig ausgestattet wurde.“

Beim BAMF ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Zuletzt hatte der Personalrat in einem offenen Brief Klage geführt, dass neue Kollegen im „Hauruckverfahren“ eingearbeitet würden und dass bei Flüchtlingen aus Syrien auf eine Identitätsprüfung verzichtet werde. Um die Verfahren zu beschleunigen, hatte de Maizière schriftliche Verfahren eingeführt. Gerade vollzieht er eine Kehrtwende. Schon aus Sicherheitsgründen soll das BAMF zurück zur Einzelfallprüfung kommen. Das bedeutet aber wieder längere Verfahren.

De Maizière spricht von einem „Schwarzer-Peter-Spiel“

Schon bisher führten die BAMF-Leute Klage, weil sie sich überlastet fühlen und weil Manager Weise sich immer nur kurz im Haus sehen lässt und selbst bei der Mitarbeiterversammlung durch Abwesenheit glänzte. Das Problem ist, dass Weise nebenbei weiter die Bundesagentur für Arbeit leitet und in Berlin als Berater der Regierung gefragt ist. Ist der Tausendsassa überfordert?

Der größte Imageschaden ist die Debatte über Wochenendarbeit. Zwar nahmen viele Politiker das BAMF in Schutz – Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU) ebenso wie de Maizière, der von einem „Schwarze-Peter-Spiel auf dem Rücken der Mitarbeiter“ sprach. Aber die Kritik hält an, etwa von der Polizei. „Das kann ich nicht nachvollziehen, darüber kann ich nur den Kopf schütteln“, schimpfte Radek. Ein Sprecher des Innenministeriums versuchte, die Wogen zu glätten: Es sei nicht vernünftig, die Mitarbeiter der Behörde in Nacht- und Wochenenddienste zu drängen und sie so zu „verbrennen“. Eine Logik, der Polizisten schwerlich folgen können.