Erfurt. Der im NSU-Prozess angeklagte Ralf Wohlleben will offenbar aussagen. „Seinen Idealen“ sei er treu geblieben, ließ er jetzt verbreiten.

Als Nicole Schneiders in Jena Rechtswissenschaften studierte, gehörte sie dem dortigen Kreisvorstand der NPD an. Ihr Vorsitzender hieß Ralf Wohlleben, der auch als Landesvize der rechtsextremistischen Partei amtierte. Er war gerade neben dem Verfassungsschutzspitzel Tino Brandt zum aktivsten und wichtigsten Neonazi Thüringens aufgestiegen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Jena längst verlassen und lebten im Untergrund in Sachsen. Mehrere Menschen waren durch Schüsse aus einer Ceska-Pistole gestorben, die der Neonazi Carsten S. in einem Szeneladen gekauft und zu dem geflüchteten Trio nach Chemnitz transportiert hatte. So jedenfalls lautete seine Aussage.

Im NSU-Prozess belastete S. seinen Mitangeklagten schwer: Wohlleben habe die gesamte Aktion geführt und beaufsichtigt. Auf diesem Geständnis beruht zum größten Teil der Vorwurf der Beihilfe zu neunfachem Mord, den die Bundesanwaltschaft beiden macht.

Ralf Wohlleben hat immer geschwiegen

Nicole Schneiders betreibt heute eine Rechtsanwaltskanzlei in Ettlingen in Baden-Württemberg – und vertritt ihren alten Bekannten Wohlleben in München. Der Verfassungsschutz des Landes sortiert sie immer noch in die rechtsextreme Szene ein.

Ihr Mandant hatte auf Anraten Schneiders stets geschwiegen, ob nun gegenüber dem Bundeskriminalamt, dem Generalbundesanwalt oder dem Gericht. Und ob nun in seinen Einzelzellen in Wuppertal, Tonna bei Gotha und München-Stadelheim oder im Gerichtssaal A 101 in München: Ralf Wohlleben verhielt sich in jeder Hinsicht unauffällig.

Während Beate Zschäpe sich mal krank meldete, ihre alten Verteidiger bekriegte und ihre Kleidung stets sorgfältig mit ihrer Frisur abstimmte, setzte sich Wohlleben zu Beginn jedes Verhandlungstages in grauem Pulli oder karierten Hemd neben Schneiders, packte einen Tetrapack Wasser aus seinem Stoffbeutel mit der Aufschrift „Jena“ und folgte dem Geschehen deutlich aufmerksamer als alle anderen Angeklagten.

Wohllebens Frau verlor wegen ihrer Gesinnung den Job

Bis auf den Umstand, dass er offenbar in Tonna Briefe an der Kontrolle vorbei schmuggeln wollte und seiner Gewohnheit, den Großbuchstaben „F“ auf den Briefkuverts so zu zeichnen, dass es mit etwas Phantasie einem Hakenkreuz ähnelte, fiel Wohlleben nie auf. In den Briefen, die in den Akten landete, zeichnete er sich selbst ausschließlich als empathischen Ehemann und Vater.

Seine Frau, die seine Einstellungen teilt und die deshalb ihren Job als Kindergärtnerin in Jena verlor, lebt inzwischen mit den gemeinsamen Kindern in einem Thüringer Dorf. Sie besucht ihn regelmäßig im Gefängnis. Zwei-, dreimal saß sie bei ihm als angemeldeter Beistand auf der Anklagebank und hielt seine Hand.

Am vergangenen Sonntag, auf den Tag genau vier Jahre nach seiner Verhaftung in Jena, verbreitete Schneiders auf ihrer Facebook-Seite eine mit ihren Mit-Verteidigern Olaf Klemke und Wolfram Nahrath abgestimmte Erklärung. „Der Wahrheit eine Gasse: Ralf Wohlleben wird sein Schweigen brechen“, lautet der programmatische Titel. Ihr Mandant müsse „einige Dinge klarstellen“, um die „dreisten Lügen“ einiger Zeugen Mitangeklagter „seine Sicht der Geschehnisse entgegen zu stellen“.

Wohlleben droht hohe Haftstrafe

Zum Ende hin klingt der Text wie ein politisches Manifest: „Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben. Seine Aussage ändert hieran nichts. Sie ist ein Akt der Notwehr gegen Lügen und Unterstellungen.“

Wolle, wie sein Spitzname lautet, gegen das verbrecherische BRD-System: Das ist die Botschaft, die im Milieu ankommen soll – und die offenbar auch so ankommt. „Haltet durch, das Volk steht hinter Euch!“, lautet einer der Kommentare auf Facebook.

Die Gründe für seinen Schritt sind banaler. Eine Verurteilung Wohllebens gilt als wahrscheinlich. Der Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichtes hat alle Haftbeschwerden seiner Anwälte abgelehnt, wobei sich die Begründungen teils wie ein vorweg genommenes Urteil lasen. Wohlleben bleibe „dringend“ tatverdächtig, hieß es.

Auch der Bundesgerichtshof schloss sich Anfang des Jahres dieser Meinung an. Wohlleben drohe eine hohe Haftstrafe, die im Falle einer Verurteilung eine „Untersuchungshaft von erheblicher Dauer nicht nur unwesentlich“ übersteige, heißt es in dem Beschluss. Wenn also Wohlleben selbst noch Einfluss auf das Strafmaß nehmen will, kann er dies nur mit seiner Aussage tun.

Zschäpe will wohl kommende Woche aussagen

Und dann ist da noch Beate Zschäpe. Sie, die der Mittäterschaft an allen NSU-Verbrechen angeklagt ist, hatte kürzlich ankündigen lassen, dass sie sich ausführlich äußern wolle. Wohl in der nächsten Woche werden ihre beiden neuen Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel eine Erklärung verlesen, die angeblich 70 Seiten lang sein soll. Danach, verlautbarten sie, wolle sich Zschäpe einem Verhör durch das Gericht stellen – aber nicht den Fragen der Nebenklage.

Dies setzt Ralf Wohlleben unter Druck, auch wenn dies seine Anwälte ausdrücklich bestreitet. Einmal abgesehen davon, dass ihn Zschäpes Aussage in zusätzliche Schwierigkeiten bringen könnte: Die Strategie des Schweigens ergibt nach der Entscheidung der Hauptangeklagten auch für ihn keinen Sinn mehr.

Wohlleben wird abwarten, was in den nächsten Wochen geschieht. Dann will er selbst reden und sich allen Fragen aller Prozessbeteiligten stellen. Er werde, sagte Schneiders, den Prozess im Unterschied zu anderen nicht „als politische Schaubühne missbrauchen“.

Allerdings lässt gerade der Propagandaton der Erklärung vom Wochenende berechtigte Zweifel an dieser Ankündigung zu. Doch so oder so: Es dürfte wieder spannend in München werden.