Berlin. Grünen-Chef Özdemir tritt offen für eine Koalition mit der Union ein. In Berlin wird ein solches Bündnis in Hinterzimmertreffen vorgedacht.

„So behandelt man nicht Angela Merkel, das gehört sich nicht, das ist einfach unanständig.“ Klingt nach einem aufgebrachten CDU-Politiker, der seine Kanzlerin gegen Horst Seehofer verteidigt. Der hatte Angela Merkel am Wochenende auf dem CSU-Parteitag düpierte. Stimmt aber nicht.

Das sagte Cem Özdemir, der Chef der Grünen. Auch lobte Özdemir auf dem Grünen-Parteitag die Kanzlerin dafür, dass sie keine Obergrenze für Flüchtlinge einziehen will. Er wurde als Parteichef bestätigt – mit einem Plus von mehr als fünf Prozent. Das wurde so interpretiert: Özdemir darf die Grünen an die Union heranführen. Kommt 2017 Schwarz-Grün?

Gemeinsamkeiten zwischen Union und der Öko-Partei werden in Hinterzimmerrunden im Berliner Regierungsviertel schon seit Januar 2014 besprochen. Unter der Leitung von Jens Spahn (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und Omnid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, treffen sich 25 bis 30 junge Abgeordnete von Union und Grünen.

Bei mediterranen Gerichten wird ausgelotet: Wie ticken die anderen?

Man sitzt zusammen, drei bis vier Mal im Jahr, immer beim Italiener, zuletzt im Restaurant Simon in der Auguststraße in Berlin-Mitte. Bei mediterranen Gerichten und Wein werden Themen diskutiert. Es geht aber nicht nur um thematische Gemeinsamkeiten, sondern auch darum herauszufinden: Wie ticken die anderen? Durch die regelmäßigen Gespräche soll Vertrauen aufgebaut werden.

Fehlendes Vertrauen gilt als einer der Gründe, warum nach den Sondierungsgesprächen im Herbst 2013 keine schwarz-grüne Koalition geschmiedet wurde. Letztlich ging die Union wie 2005 wieder mit der SPD zusammen.

Die Treffen haben offiziell keinen Namen. Doch die Runden beim Italiener erinnern an die Pizza Connection. In den 90er-Jahren trafen sich beim Bonner Italiener Sassella junge Abgeordnete der Union und der Grünen, um Gemeinsamkeiten auszuloten.

Mini-Revolte der Jungen gegen den mächtigen Kanzler Kohl

Damals ging es auch darum, ein bisschen gegen den mächtigen Kanzler Helmut Kohl zu revoltieren. Mit dabei Politiker, ihren Weg gemacht haben: Grünen-Parteichef Cem Özdemir, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Kanzleramtsminister Peter Altmaier und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU).

Und Gröhe lobte Özdemir am Wochenende auf Twitter: „Differenzierte Kritik tut allen gut.“ Der Grünen-Chef hatte kritisiert, dass Islamvertreter behaupten, Terroranschläge von Dschihadisten hätten nichts mit dem Islam zu tun. „Kein heiliges Buch steht über der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland“, rief Özdemir den Delegierten zu.

Der Union fehlt der natürliche Koalitionspartner FDP

Positiv wird es in der CDU auch aufgenommen, dass Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann Kompromisse mit der Union findet. Kretschmann stimmte im Bundesrat dem Asylpaket der Bundesregierung zu – und verteidigte auf dem Grünen-Parteitag sein Handeln: „Nicht alle, die zu uns kommen, können auch hierbleiben.“

Jens Spahn begrüßt das. „Die Diskussion um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen zeigt, dass beide Parteien alte Glaubenssätze überdenken müssen und es auch können“, sagte Spahn dem Hamburger Abendblatt. „Darin liegt eine Chance für Schwarz-Grün, eine Koalition nach der nächsten Bundestagswahl ist aber sicher kein Automatismus.“

Merkel soll intern die jungen Abgeordneten loben, die die Zusammenarbeit mit den Grünen vorantreiben. Und eine neue Machtoption ist auch nötig: Die FDP sitzt nicht mehr im Bundestag – ungewiss, ob sie 2017 den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Und weitere vier Jahre große Koalition will eigentlich niemand.